Mieczyslaw Weinberg
Complete Sonatas and Works
Linus Roth • José Gallardo
Challenge Records CC72567
3 CD • 2h 44min • 2013
29.08.2013
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Nachdem Mieczyslaw Weinberg zu Lebzeiten im Westen fast nur ausgesprochenen Kennern sowjetischer Musik bekannt war, erfreuen sich seine Werke heute, siebzehn Jahre nach seinem Tod, steigender Beliebtheit bei Interpreten, Publikum und Labels. Der 1919 in der polnischen Hauptstadt Warschau geborene Komponist floh als Jude nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Sowjetunion und kam schon bald in Kontakt mit Schostakowitsch, der ihn nach Moskau einlud. Beide verband höchste gegenseitige Wertschätzung und eine lebenslange Freundschaft. Weinbergs Musik lehnt sich stilistisch stark an Schostakowitsch an. Sicher ist dies einer der Gründe dafür, warum er es – insbesondere im Westen – schwer hatte, aus dem Schatten des verehrten Freundes herauszutreten. Trotzdem: seine Musik wurde in der Sowjetunion viel gespielt, gedruckt und auf Schallplatte aufgenommen. Ihn nun – wie manche Kritiker dies tun – zum dritten großen russischen Komponisten des Zwanzigsten Jahrhunderts neben Schostakowitsch und Prokofjew heraufzustilisieren, halte ich bei allem Respekt doch für reichlich vermessen. Weinberg war ein sehr fruchtbarer Komponist, und die Originalität der Erfindung schwankt in seinem Schaffen beträchtlich, was sich auch in der vorliegenden Gesamteinspielung der Werke für Violine und Klavier manifestiert. Dennoch gibt es darunter einige hervorragende Stücke, die es unbedingt verdienten, Repertoirestücke zu werden. Werfen wir einen Blick auf einige der eingespielten Werke: Die 5. Sonate (geschrieben in Stalins Todesjahr 1953 und Schostakowitsch zugeeignet) eröffnet die Anthologie. Meines Erachtens keine sonderlich kluge Wahl. Die Musik bewegt sich oft an der Oberfläche und plätschert zwar musikantisch, aber eher belanglos vor sich hin. Am stärksten noch der dritte Satz. Einen wesentlich substantielleren Eindruck hinterlässt die sechs Jahre zuvor für Leonid Kogan entstandene 4. Sonate. Kein Geringerer als David Oistrach spielte die Uraufführung von Weinbergs Rhapsodie über moldawische Themen. Im starken Einfluss jüdischer Folklore, den Weinberg zu Zeiten eines extremen sowjetischen Antisemitismus klug als „moldawisch" (also aus der an Rumänien grenzenden Moldaurepublik stammend) tarnte, spiegelt sich hier klar die Identität des Komponisten. Zu den besten Sonaten der Sammlung zählen meines Erachtens die dritte (1947 komponiert und Mischa Fichtengolz gewidmet) mit ihrem recht „modernen", originellen Kopfsatz und ausdrucksstarken Melos im Mittelsatz, sowie – allen voran – der letzte Beitrag der Gattung, die 1982 geschriebene 6. Sonate. Hier scheint Weinberg, wie vom Übervater Schostakowitsch befreit, seine ureigenste Musiksprache gefunden zu haben. Zwar greift die teils verstörend dissonante Sonate auf für Weinberg charakteristische Stilelemente zurück, weitet sich im Horizont aber harmonisch und formal und besticht durch eine überzeugende dramatische Entwicklung. Es liegt wohl im Wesen einer Gesamtschau, dass sich nicht alle Werke auf gleichem Niveau bewegen. Einige der Stücke, wie etwa der Sonatenerstling von 1943, sind sicher nicht mehr als (gelungene) Talentproben. Dennoch kann man den beiden Musikern und dem Label für diese wertvolle Retrospektive nur dankbar sein. Sie zeigt die lebendige Entwicklung eines Komponisten mit allen (auch für das Leben eben typischen) Höhen und Tiefen. Dass Linus Roth und José Gallardo seit 1998 in Duoformation zusammenspielen kann man hören! Das Resultat ist eine engagierte Hommage an Mieczyslaw Weinberg in technischer und musikalischer Vollendung.
Heinz Braun † [29.08.2013]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Mieczyslaw Weinberg | ||
1 | Sonate No. 5 g minor op. 53 for Violin and Piano | 00:23:07 |
5 | Sonate No. 4 op. 39 for Violin and Piano | 00:18:31 |
8 | Rhapsody on Moldavian op. 47 No. 3 | 00:10:34 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Sonate Nr. 3 für Violine und Klavier | 00:21:03 |
4 | Sonatine D-Dur op. 46 für Violine und Klavier | 00:16:19 |
7 | Sonate Nr. 2 op. 15 für Violine und Klavier | 00:20:08 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Sonate Nr. 1 op. 12 für Violine und Klavier | 00:22:24 |
4 | Sonate Nr. 6 op. 136 für Violine und Klavier | 00:15:43 |
7 | Nokturn für Violine und Klavier – Moderato | 00:06:37 |
8 | Scherzo für Violine und Klavier – Allegro | 00:02:08 |
9 | Sen a lalce für Violine und Klavier – Moderato | 00:07:12 |
Interpreten der Einspielung
- Linus Roth (Violine)
- José Gallardo (Klavier)