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Kompass

Frühlingserwachen

Bax • Respighi • Britten • Koechlin

Der Frühling hat nicht nur Tondichter immer wieder inspiriert. Der ewige Kreislauf von Werden und Vergehen und das Erwachen der Gefühle sind zeitlose Aspekte von Frühlingsbetrachtungen. Fernab vom Mainstream stellt »KLASSIK heute« vier kaum bekannte Kompositionen vor, die sich eigenwillig mit dem Sujet auseinandersetzen und obendrein als autobiographische Schlüsselwerke entpuppen.

Arnold Bax (1883–1953)

Frühlingshaft im wahrsten Wortsinn ist Spring Fire (Frühlingsfeuer) für das spätere Schaffen von Arnold Bax. Die meisterhaft instrumentierte, halbstündige Sinfonie ist freilich eher eine Folge von Naturbildern, denn die unaufdringliche, doch festgefügte Motiventwicklung, die die späteren sinfonischen Werke auszeichnen sollte, ist nur in Ansätzen vorhanden. Als

Spring Fire 1913 entstand, lebte Bax glücklich mit Frau und zwei Kindern bei Dublin. Das optimistische Werk ahnt noch nicht, dass diese Idylle scheitern sollte: Bax, geplagt von ekstatischen Schaffensvisionen und seinem Doppeltalent als Komponist und Poet – er verfaßte Prosa unter dem Pseudonym Dermot O’Byrne –, gab mit dem Osteraufstand im April 1916 seine alte Welt auf und verließ seine Familie.

Charles Koechlin (1867–1950)

Die Vertonung von Teilen aus Kiplings zwei Dschungelbüchern beschäftigte den bis heute verkannten großen Klangsucher Charles Koechlin sein Leben lang. Heraus kam zwischen 1908 und 1940 ein Konzert-Zyklus von 90 Minuten Dauer. Im Zentrum steht La Course de Printemps op. 95 (1925–27), mit etwa 30 Minuten Dauer die längste der fünf Tondichtungen. Koechlin beschreibt hier die bislang unbekannten Frühlingsgefühle des heranwachsenden Mowgli und seinen Versuch, sich dieses Gift aus der Seele zu rennen – vergeblich: Der Dschungelmensch muß zurück zu seinem Volk. Koechlin komponiert ergreifend den Verlust der Unschuld, sowohl die Mowglis als auch die seiner eigenen Unschuld als Komponist. Er zieht im dicht gefügten, viersätzigen Werk – das mit mehr Recht sinfonisch zu nennen wäre als das von Bax – ein Resumée seiner Entwicklung, aber auch der Entwicklung der Musik an sich bis hin zum Seriellen und zur Poly-Tonalität. Am Ende des Frühlingslaufens hat auch Koechlin zu seiner stilistischen Reife gefunden.

Ottorino Respighi (1879–1936)

Lebenskatastrophen oder Kriegs-Reflektionen sucht man in La Primavera vergeblich, obwohl Ottorino Respighi diese Kantate unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs schrieb. Verstellten ihm Hochzeit und privates Glück den Blick für das Zeitgeschehen? Seine Frau Elsa war für ihn jedenfalls wie der Frühling: „Dein Eintritt in mein Leben, Elsa, läßt den Frühling in meine Seele einkehren“, schrieb er. Das dreiviertelstündige Poem für Soli, Chor und Orchester vertont Texte des armenischen Dichters Constant Zarian und besteht aus sieben symmetrisch gebauten, ineinander übergehenden Teilen.

Benjamin Britten (1913–1976)

Die Spring Symphony von Benjamin Britten ist eher Kantate als Sinfonie. Gleichwohl legt die erste Szene musikalische Keime; die zweite, dritte und vierte entsprechen langsamem Satz, Scherzo und Finale. Die Texte des 1948/49 komponierten Stücks stellte Britten aus Gedichten diverser britischer Dichter zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert zusammen. Wie auch bei zahlreichen anderen Werken Brittens verquickt die Entstehung private und öffentliche Anlässe: Sie war unter den vielen Werken, die der große Förderer und Mentor neuer Musik Serge Koussevitzky für sein Boston Symphony Orchestra in Auftrag gegeben hatte. Unter der frühlingsfröhlichen Oberfläche brodelt gleichwohl das Drama eines homosexuellen Komponisten im prüden Nachkriegs-Britannien. Eine Verherrlichung bürgerlicher Liebe und weiblicher Schönheit spart die Spring Symphony nämlich weitgehend aus.

Im Zentrum steht hingegen ein Gedicht von einem Mentor und Freund, mit dem Britten 1939 bis 1942 in Amerika zusammen war und den er bei seiner Rückkehr nach England zurücklassen mußte – W. H. Auden: „Aus Gärten, in denen wir uns sicher fühlen, blicken wir empor und ertragen mit einem Seufzer die Tyranneien der Liebe, und scheren uns in Sanftmut nicht darum, wo Polens Ostgrenze verläuft, welche Gewalt verübt wird; noch fragen wir, welches zweifelhafte Geschick uns Freiheit gewährt in diesem englischen Haus, und unsere Picknicks in der Sonne“, schreibt er. Britten komponiert daraus eine trügerische Choridylle mit Altsolo, in die unvermittelt die Grausamkeit des Krieges einbricht. Schon im ersten Auftritt des Frühlings vertonen drei Trompeten vorgeblich den Kuckucksruf, aber als Erweckungsfanfare, die den Beginn des jüngsten Gerichts im 13 Jahre später komponierten War Requiem vorwegnimmt.

Britten komponiert zu Beginn in aller Härte winterliche Erstarrung; auch Koechlin beginnt seinen Frühlingslauf mit einer zerbrechlichen Beschreibung der unschuldigen Natur und dem Erwachen des Dschungels. Bax gelingt in Im Wald vor der Dämmerung die Geburt einer unvergeßlichen Melodie über naturhaften Arpeggien von Harfe und Flöte. Dieses Erwachen gipfelt im Tagesanbruch und Sonnenaufgang, der so realistisch ist, dass man sich von der Sonne geradezu geblendet fühlt. Respighi hingegen beläßt es bei einem recht unspektakulären Anwachsen der Orchestermassen als Symbol des anbrechenden Frühlings. Trotz der großen Instrumentationskunst und Klangfarbenphantasie wirkt La Primavera neben Koechlin und Bax etwas blaß, wenn Respighi auf seine Weise auch ein erwartungsvolles Frühlingsbild gelingt, das übrigens viel zu selten aufgeführt wird.

Am Anfang der dritten Szene beschreibt Respighi, in rechter Wagner-Manier mit Waldvögeln und Tristan-Seufzern das Liebessehnen eines jungen Mannes – natürlich ein Tenor. Besonders eindrucksvoll wirkt das in Töne eingefangene Pulsieren der Erde selbst. Auch bei Bax und Koechlin steht Liebeserwachen in der Natur im Mittelpunkt: Bei Bax wird ein Paar, berauscht von der eigenen Lust – wieder unter Wagner-Klängen –, recht unsanft von Naturgeistern geweckt. Bei Koechlin hält Mowgli nach einem großen Höhepunkt erschöpft inne und begegnet dem Menschenmädchen – einer der zärtlichsten Momente der Musikliteratur.

Nach diesem Wendepunkt geben sich bei Respighi entfesselte Maiden dem Frühling hin; alle Stimmen der Natur feiern das Geheimnis der Liebe als Gabe zum ewigen Leben. Auch Bax findet zu einem bacchantischen Triumph-Finale. Nur Koechlin weist im Nacht-Schluß auf den Kreislauf von Werden und Vergehen hin. Davon ist Britten meilenweit entfernt: Sein Finale beschreibt doppeldeutig, an Schostakowitsch erinnernd, wie die närrischen Londoner den Mai begrüßen: „Jung und Alt, Mann und Maid, geht Maien, mit Trommeln, Tambouren und knallenden Büchsen!“. Das endet mit Reminiszenzen an die Kuckucks-Kriegstrompeten vom Anfang und einem grotesken Walzer, in dem Ravels La Valse wohl nicht unbeabsichtigt anklingt. Im Epilog singt dann als i-Tüpfelchen noch ein Tenor – Britten dachte an seinen Lebensgefährten Peter Pears – Worte eines Männer-Paares aus dem 17. Jahrhundert, Richard Beaumont und John Fletcher. Solche doppelbödigen Formen musikalischen Outings bleiben dem Publikum meist verborgen, nicht zuletzt, weil sich bis heute Autoren scheuen, die zum Verständnis seiner Werke wichtige Homosexualität Brittens unbefangen anzusprechen.

Subjektiv geprägt vom Empfinden vier verschiedener Persönlichkeiten, spiegelt sich im Charakter der vier Werke nebenbei auch ein landestypisch unterschiedliches Erscheinungsbild der neu auflebenden Natur.

Dr. Benjamin G. Cohrs

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