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Besprechung CD

crossroads

Veress | Mamlok | Mihalovici | Saygun | Ginastera

eda records EDA 047

1 CD • 73min • 2020

06.07.2022

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Unter den zahlreichen CDs mit Musik für Violoncello solo, die – nicht zuletzt pandemiebedingt – in den vergangenen zwei Jahren herausgekommen sind, sticht die Produktion von eda records mit der Berlinerin Adele Bitter, seit gut 20 Jahren Vorspielerin beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, mit ihrem Repertoire besonders hervor. Endlich mal eine Künstlerin, die sich traut, ein reines Programm aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anzubieten – ohne etwa noch eine Portion Bach unterzumischen. Dazu mit Komponistinnen und Komponisten, die längst nicht zum Kanon der üblichen Verdächtigen gehören: großartige Musik von Sándor Veress, Ursula Mamlok, Marcel Mihalovici, Ahmet Adnan Saygun und Alberto Ginastera.

Identitätsfindung in der Ferne

Allen Autoren gemeinsam ist, dass sie ihre eigentliche musikalische Identität jeweils in der Fremde gefunden zu haben scheinen, sei es durch Studien im Ausland oder gar Emigration, und so von – mindestens – zwei unterschiedlichen Kulturkreisen geprägt wurden. Die gebürtige Berliner Jüdin Ursula Mamlok (1923-2016) musste bereits als 16-jährige in die USA auswandern und machte dort bald eine vielbeachtete Karriere. Doch erst, als sie – mit über achtzig – in ihre Heimatstadt zurückkehrte, schenkte man ihr auch in Deutschland die verdiente Aufmerksamkeit. Ihr anspruchsvolles, zumeist zwölftöniges Werk in der Tradition der amerikanischen Schönberg-Nachfolge wird seitdem zunehmend aufgeführt und Gegenstand musikwissenschaftlicher Forschung. Die Fantasy Variations (1982) sind in ihrer für die Komponistin typisch knappen und konzentrierten Aussage ein Kleinod moderner Cellomusik. Ebenfalls auf Zwölftonreihen – jedoch freier – setzt die tiefgründige Solosonate des Ungarn Sándor Veress (1907-1992), der nach seiner Emigration 1949 in die Schweiz schnell Anschluss an die dortige Neue-Musik-Szene fand.

Zwei Großmeister der Verbindung von Volks- und Kunstmusik

Bis in die frühen 1950er Jahre war die argentinische Volksmusik starke Inspirationsquelle für Alberto Ginastera (1916-1983). In seinem faszinierenden Spätwerk spürt man davon kaum noch etwas: Die Musik wird zunehmend konstruktiver, mit Rückgriffen auf teils fiktive präkolumbianische Kulturschnipsel bis hin zur Dodekaphonie, was man auch in der Puneña No. 2 von 1976 antrifft. Wie im gleichzeitig für Paul Sacher entstandenen, entsprechenden Solostück von Henri Dutilleux, wird dabei der Name des Widmungsträgers kodifiziert; enorm vielschichtig. Ahmet Adnan Saygun (1907-1991) war wohl der bedeutendste Komponist der Türkischen Fünf, die zur Zeit des sich modernisierenden Staats Atatürks Studien im Ausland absolvierten: Saygun in Paris bei Vincent d’Indy. 1936 widmete er sich zusammen mit Bartók ethnologischer Forschung: So erkannte er, dass die zuvor sogenannten bulgarischen Rhythmen ursprünglich aus Kleinasien stammen. Seine Partita zum 150. Todestag Friedrich Schillers ist ein zugängliches, weitgehend tonales Stück, das ohne zu barockisieren als Antwort auf Bach türkische Topoi integriert.

Marcel Mihalovicis veritable Solosonate

Mit knapp 21 Jahren ging der Rumäne Marcel Mihalovici (1898-1985) ebenfalls zu d’Indy nach Paris, wo der spätere Ehemann der Pianistin Monique Haas bis zu seinem Tod beheimatet blieb. Das älteste (1949) und mit über 20 Minuten längste Werk der CD demonstriert Mihalovicis eminenten Sinn für großräumige tonale Entwicklungen über fünf Sätze. Leider ist der Schwachpunkt von Adele Bitters Interpretationen, dass sie genau diese größeren Zusammenhänge nicht darzustellen weiß. Ihr engagiertes, im Detail immer interessantes und ausdrucksstarkes, technisch selbstverständlich unangreifbares Spiel bleibt kleinteilig, überhöht die jeweilige Schönheit des Augenblicks, ohne dabei das Ganze im Blick zu behalten. Dadurch erscheinen zum Beispiel sämtliche Satzschlüsse ein wenig unvermittelt, da der Cellistin der Sinn für musikalische Teleologie offenbar weitgehend fehlt. Das ist besonders für die beiden Sonaten schade, fällt dagegen in den kürzeren Sätzen der anderen Werke, deren Charaktere sie durchaus auf den Punkt bringt, weniger ins Gewicht. So gelingen ihr vor allem bei Mamlok und Ginastera eindringliche Darbietungen, die im Gedächtnis bleiben. Saygun könnte man hingegen noch deutlich raffinierter spielen. Wegen des hohen Repertoirewertes dieser Zusammenstellung, der ausgezeichneten Aufnahmetechnik und der vorzüglichen Booklettexte von Norbert Florian Schuck sei die CD der Cellogemeinde dennoch ans Herz gelegt.

Martin Blaumeiser [06.07.2022]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Sándor Veress
1Sonate für Violoncello solo 00:14:25
Ursula Mamlok
4Fantasy Variations for cello solo 00:09:04
Marcel Mihalovici
8Sonate pour violoncelle seul op. 60 00:20:46
Ahmed Adnan Saygun
13Partita op. 31 (To the Memory of Friedrich Schiller) 00:18:40
Alberto Ginastera
18Pueña Nr. 2 op. 45 (Hommage à Paul Sacher) 00:09:43

Interpreten der Einspielung

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