Clytemnestra
BIS 2408
1 CD/SACD stereo/surround • 55min • 2018
12.02.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In ihrer 1983 erschienenen Monologreihe Wenn du geredet hättest, Desdemona mit dem Untertitel Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen hat Christine Brückner auch der Mörderin Klytämnestra mit einer Ansprache an der Bahre ihres ermordeten Gatten Gerechtigkeit widerfahren lassen. Einen ähnlichen, man kann sagen: feministischen Ansatz verfolgt die walisische Komponistin Rhian Samuel mit ihrem mehrteiligen, durch ein Orchester-Intermezzo unterbrochenen Monolog Clytemnestra von 1994.
Kann man eine Mutter verurteilen, die den Mörder ihres gemeinsamen Kindes tötet? Das Libretto hat Samuel aus den Reden Klytämnestras im Drama Agamemnon von Aischylos kompiliert, in dem die Figur allerdings sehr negativ gezeichnet wird, da sie sich triumphierend zu ihrer Tat bekennt.
Große Emotionalität
Die Mezzosopranistin Della Jones hat das Werk damals aus der Taufe gehoben, die Sopranistin Ruby Hughes 2015 die erst zweite Aufführung bestritten und Clytemnestra jetzt in ein Recital aufgenommen, das sie, die sich bisher vor allem mit Musik des 18. Jahrhunderts einen Namen gemacht hat, in einem neuen Lichte zeigt. Sie fühlt sich angezogen von der mächtigen Emotionalität der Musik, die sie streckenweise an den Soundtrack großer Hollywoodfilme aus den 50er Jahren erinnert. Diese Einschätzung ist so falsch nicht, und wenn die Partitur auch ganz frei ist von avantgardistischen Ambitionen, so überzeugt sie den Hörer doch im Falle einer authentischen, sich ehrlich auf die Emotionen einlassenden Interpretation. Während Della Jones Klytämnestras Apologie sehr dramatisch und kämpferisch gestaltete, betont Ruby Hughes mit ihrer silberklaren, schlanken und zugleich ausdrucksfähigen Sopranstimme die verletzliche Seite der Mörderin, verleiht ihr beinahe mädchenhafte Züge. Das BBC National Orchestra of Wales unter Jac van Steen vermittelt die illustrative, Stimmungen schaffende Musik ohne überbordende Opulenz.
Vorzügliche Wiedergabe
Die Echos von Gustav Mahler und Alban Berg, die Hughes in Samuels Musik zu hören glaubt, teilen sich allerdings nicht zwingend mit. Besonders Bergs Altenberg-Lieder, die wegen ihrer Atonalität im März 1913 im Wiener Musikvereinssaal einen Skandal auslösten, sind von einem wesentlich anderen Verständnis vom Verhältnis von Text und Musik geprägt. Die Wiedergabe ist allerdings vorzüglich, denn man hört, wie gut die Sängerin und das Orchester aufeinander eingestimmt sind, Stimme und Instrumente scheinen momentweise eins zu werden.
Wenn man Gustav Mahlers Rückert-Lieder mit tiefen Stimmen, etwa mit Christa Ludwig und Dietrich Fischer-Dieskau, im Ohr hat, muß man sich erst einmal daran gewöhnen, sie mit einem hellen Sopran zu hören. Doch bald kann man sich dem elfengleichen Gesang von Ruby Hughes nicht mehr entziehen, der den Liedern alle Schwere nimmt und in seiner Zärtlichkeit und Intimität direkt berührt. Auch hier nimmt das Orchester den Ton der Sängerin sensibel auf, die lichtvollen und heiteren Stimmungen setzen sich auch in den Nachtgedanken des dritten und vierten Liedes durch.
Ekkehard Pluta [12.02.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Gustav Mahler | ||
1 | Blicke mir nicht in die Lieder (F. Rückert) | 00:01:25 |
2 | Ich atmet' einen linden Duft (F. Rückert) | 00:02:33 |
3 | Ich bin der Welt abhanden gekommen (F. Rückert) | 00:06:20 |
4 | Um Mitternacht (F. Rückert) | 00:05:50 |
5 | Liebst Du um Schönheit (F. Rückert) | 00:02:17 |
Alban Berg | ||
6 | Seele, wie bist du schöner op. 4 Nr. 1 | 00:02:54 |
7 | Sahst du nach dem Gewitterregen op. 4 Nr. 2 | 00:01:07 |
8 | Über die Grenzen des Alls op. 4 Nr. 3 | 00:01:30 |
9 | Nichts ist gekommen op. 4 Nr. 4 | 00:01:21 |
10 | Hier ist Friede op. 4 Nr. 5 | 00:03:24 |
Rhian Samuel | ||
11 | Clytemnestra (nach Aischylos) | 00:24:10 |
Interpreten der Einspielung
- Ruby Hughes (Sopran)
- BBC National Orchestra of Wales (Orchester)
- Jac van Steen (Dirigent)