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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Brahms

Symphony No. 3

BIS 2319

1 CD/SACD stereo/surround • 78min • 2016, 2017

28.08.2018

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Nun hat er sich den ganzen Brahms vorgenommen bei BIS: Thomas Dausgaard, der dänische Dirigent auf Erfolgslinie mit symphonischen Gesamtaufnahmen von Schubert oder Schumann - bei Brahms denn doch vielleicht etwas zu unbekümmert.

Dausgaards Aufnahme offenbart einen zu leicht wiegenden Zugriff auf ein so schwer zu ermessendes Werk wie die F-Dur-Symphonie von 1883. Zwar ist sie sympathisch kammermusikalisch gespielt, und dem federnden Ansatz des Dirigenten folgt sein höchst homogenes Ensemble, Swedish Chamber Orchestra, perfekt, ja, könnte in der Klanggestalt neben den bei aller Verschiedenheit legendären Interpretationsleistungen Furtwänglers, Toscaninis, Mengelbergs, Celibidaches durchaus bestehen, wenn Dausgaard das Spannungsgesetz des Kopfsatzes nachvollzöge aus dem Widerspruch zwischen sanguinischem Vorwärts des Hauptgedankens, der die Horizontale will, jedoch in dieser vertikal gestaut wird. Eben diesen Widerstand eliminiert Dausgaard und übersetzt ihn melodisch-elegant und zielsicher horizontal. Andante und Scherzo lassen sich als schön musizierte Einzelheiten geniessen, verraten aber nichts mehr vom Brahmsschen symphonischen Gesamtkonzept, das diese schlichte Mitte wie ein erträumtes Idyll sucht im hochgespannten Kontext der Ecksätze: und so entgleitet Dausgaard auch das Finale, weil es keinen Impetus mehr aus dem Kopfsatz beziehen kann und damit in freundlicher Bedeutungslosigkeit verklingt …

Diese Edition aber bietet einigen Ausgleich; denn freuen kann man sich an den vom Dirigenten selbst plastisch instrumentierten Ungarischen Tänzen (Nummern 11 bis 16, weder von Brahms selbst noch von Freund Dvorak instrumentiert): vielfarbig und munter und ein wenig zu effektbedacht: wenn man weiss, wie skeptisch Brahms im Blick auf seine für Klavier (vierhändig) erdachten Originale war, weil besorgt, jede Instrumentation würde sie ins Vordergründige abgleiten lassen - der höchst besonnene Begleittext von Horst A. Scholz im Booklet dieser BIS-Edition weist speziell darauf hin. Dausgaard balanciert geschickt mit seiner Fassung auf schmalem Grat.

Und Freude macht natürlich die Rarität dieser Edition: die Orchestration von sechs Schubert-Liedern, solche zunächst mit dem großen Gestus des Antike-Bezuges (An Schwager Kronos, Memnon, Gruppe aus dem Tartarus), bei denen bereits Schuberts Originale die Liedaesthetik sprengen und Brahms den dramatischen Sensus monumentalisiert - was beide Sänger, Anna Larsson und Johan Reuter, stimmdarstellerisch unterstreichen: Reuter gewinnt bei relativ hell timbriertem Organ eine geradezu wagnerische Gebärde; bei Larsson, deren zaubrisch-zarte Töne betören, schlägt die Stimme phasenweise in leicht tremolierendes Pathos um. Durchaus überzeugend der von Reuter gesungene Greisengesang nach Rückert, da Brahms inhaltlich besonders nahe: als gehe es hier um sein instrumentiertes Selbstbildnis, das Schubert gleichsam antizipierend vorgezeichnet hätte. Zum reizvollen Kabinettstück, bei dem Brahms den Bläsersatz leuchten lässt, wird Ellens zweiter Gesang („Jäger, ruhe von der Jagd“), zumal er Anna Larssons Pianokunst entgegenkommt. Goethes Divan-Gedicht Geheimes hingegen, bei Schubert voll von sprühendem Eros, setzt bei Brahms in der Orchestrierung trotz noblem Streicherduktus Gewicht an und entzaubert unversehens Goethe und Schubert.

Licht und Schatten dieser BIS-Brahms-Edition (III) könnten sich irgendwie aufwiegen, wäre da nicht noch die Alt-Rhapsodie von 1869, dieses höchst private Bekenntniswerk des noch nicht vierzigjährigen Brahms. Es ist klingendes Dokument seiner Verzweiflung, von Julie Schumann, Tochter seiner ewig geliebten Clara, die sich ihm versagte, nun auch als Liebender abgewählt zu sein, und so wird die musikalische Bewältigung des Verlusts in Gestalt der Rhapsodie zum, grotesk genug, Hochzeitsgeschenk für die Ersehnte unter anderer Flagge: „Erst verachtet, nun ein Verächter/Zehrt er heimlich auf/Seinen eigenen Wert“ - so lässt der Getroffene singen. Diese Zerreissprobe eines musikalischen Versuchs der Selbstüberwindung verfehlt Dausgaard wie in der Symphonie auch hier knapp mit den Seinen trotz guter Voraussetzungen: Anna Larssons schöne Möglichkeiten verlassen die Distanz, die Goethes Text braucht, und schlagen zu sehr um in ein vibrierendes Fricka-Pathos, weil man der Sprache nicht vertraut und dramatisiert, statt den Sinn gleichsam ‚episch‘ umzusetzen. Gerade in der Mischung mit den chorischen Männerstimmen (Swedish Radio Choir) bei der abschliessenden Choralphase wird Pathos evoziert, als habe man Angst vor der Botschaft des Werkes, jener Schlichtheit der Erlösung. Sie ereignet sich, indem man sie entstehen lässt - man kann sie nicht, wie Dausgaard, musikalisch erzielen wollen. Freilich, die Interpretationsgeschichte kennt nur wenige Sternstunden, sofern festgehalten, im Blick auf dieses Werk: bleiben die einsamen Leistungen Kathleen Ferriers (mit Clemens Krauss am Pult, noch bewegender live unter Fritz Busch) und Marian Andersons (von Fritz Reiner dirigiert), die alles erfüllen, was das Werk will.

Georg-Albrecht Eckle [28.08.2018]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johannes Brahms
1Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90 00:33:15
5An Schwager Kronos (Orchesterbearbeitung nach Franz Schubert D 369) 00:02:27
6Memnon (Orchesterbearbeitung nach Franz Schubert D 541) 00:03:35
7Geheimes (Orchesterbearbeitung nach Franz Schubert D 719) 00:01:42
8Greisengesang (Orchesterbearbeitung nach Franz Schubert D 778) 00:04:39
9Ellens zweiter Gesang (Orchesterbearbeitung nach Franz Schubert D 838) 00:02:50
10Gruppe aus dem Tartarus (Orchesterbearbeitung nach Franz Schubert D 583) 00:02:26
11Ungarischer Tanz Nr. 11 d-Moll für Orchester 00:02:44
12Ungarischer Tanz Nr. 12 d-Moll für Orchester 00:02:37
13Ungarischer Tanz Nr. 13 D-Dur für Orchester 00:01:25
14Ungarischer Tanz Nr. 14 d-Moll für Orchester 00:01:50
15Ungarischer Tanz Nr. 15 B-Dur für Orchester 00:02:40
16Ungarischer Tanz Nr. 16 f-Moll für Orchester 00:02:19
17Alt-Rhapsodie op. 53 00:11:57

Interpreten der Einspielung

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