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Besprechung CD

Richard Strauss • Tondichtungen 5

Metamorphosen • Symphonia domestica

SWRmusic SWR19021CD

1 CD • 69min • 2014, 2015

18.01.2017

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Farewell! Das einstige Flaggschiff des Südwestfunks, das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, wurde im Zuge der strategischen Verarmung unserer Kulturlandschaft – angeführt vom Chefabwickler Peter Boudgoust – wegrationalisiert und mit dem Stuttgarter SWR-Sinfonieorchester fusioniert zugunsten eines – peinliches PR-Neusprech! – ‚Superorchesters’, das dann über die Jahre absehbar auf symphonische Normalgröße herabgefahren werden wird. Man setzt aufs kollektive Vergessen, und das Verstummen der Proteste bestätigt die Taktik. Ein internationaler Top-Klangkörper weniger: wen juckt’s letztlich außer den direkt Betroffenen?, werden sich wohl die für die Vernichtung Verantwortlichen „gefragt“ haben, die ja dank der allgemeinen Steuer für die Öffentlich-Rechtlichen jetzt deutlich mehr Geld kassieren als zuvor und dieses wohl in populistischen Projekten wie Sport-Liveübertragungen, seichte Soap-Serien und dergleichen mehr versenken werden.

Dass es sich hier um ein absolutes Spitzenorchester globalen Ranges handelte, dafür dient diese virtuose Strauss-Platte noch einmal als eindrücklicher Beleg. Makelloser dürfte die Sinfonia domestica, dieses privatphilosophische Ungetüm höchster Weißwurstelaboration, kaum je eingespielt worden sein. Man höre nur, wie sauber und klar die hohen Streicher all jene heiklen Passagen absolvieren, bei denen man normalerweise schon vorher weiß, dass es schmutzig klingen wird, und entsprechend gewohnt ist, für einen Moment beide Augen zudrücken zu müssen! Und wie erlesen der Konzertmeister seine Soli darbietet (sein Name ist leider nirgends genannt), wie fabelhaft die Holz- und Blechbläser-Solisten ihre Parts zelebrieren! François-Xavier Roth, finaler Chefdirigent des abgewrackten Eliteorchesters, versteht es glänzend, den Apparat rhythmisch zu synchronisieren, schadlos durch die Rubati zu manövrieren, zu animieren und überwiegend auf schlanke, durchsichtige Tongebung zu trimmen, was von der vortrefflichen Tontechnik brillant unterstützt wird. Natürlich haben die Holzbläser in natura nicht eine solche Kraft im Vergleich zu Streichertutti und vor allem Blechbläsern – da hört man (wie in Aufnahmen heute ganz üblich) vieles in aller Deutlichkeit, was im Saal verdeckt wird: Das hat Vorteile für den analytisch Interessierten, entstellt aber auch die vertikalen (und horizontalen) Proportionen, wie sie ein Meisterorchestrator wie Strauss souverän herausmeißelte. Bei aller Verve und teilweise relativen Leichtigkeit, die Roths Ansatz auszeichnet, gibt es auch Schwachstellen in seiner Gestaltung: Das Bewusstsein über harmonische Artikulation, also über die Spannungs- und Entspannungsverhältnisse über das rein Melodische hinaus, ist nicht allzu ausgeprägt, wodurch oft die dynamischen Modifikationen zwar der Partiturvorschrift folgen, jedoch nicht aus der Dynamik des Satzes heraus natürlich motiviert sind – also ein bisschen so, als würde man von den Ereignissen überholt, die immer wieder mit zu wenig Vorausschau eingeleitet werden. Und er neigt zu allzu hitzigem Vorwärtsdrängen, wodurch es dann gelegentlich an der nötigen Reserve mangelt, um noch einmal merklich resolut nachzusetzen, wo die Musik es verlangt. Dessen ungeachtet handelt es sich um eine in ihrer Virtuosität und makellosen Umsetzung der ornamentischen Details beeindruckende Aufnahme der Sinfonia domestica.

Nach diesem Monster überwältigender Oberflächenwirkungen, das besonders in der turbulenten Finalfuge zu fesseln vermag, führen uns die späten Metamorphosen für 23 Solostreicher in die introvertierte Gegenwelt auf der Strauss’schen Ausdruckspalette. Auch hier: herrlich, wie die einzelnen Instrumentalisten aufblühen, wie jeder sich mit Intensität, Klangschönheit und blitzsauberer Geschmeidigkeit einzubringen vermag. Die Schwäche liegt in der plausiblen kontrapunktischen Durchdringung, also darin, dass man oftmals die Hauptstimmen nur dann heraushört, wenn man vorher weiß, wo sie sind. Das ist natürlich ein Problem der Einstudierung, für die kaum ein Orchester die Probenanzahl zur Verfügung gestellt bekommen dürfte, die nötig ist, um wirklich eins aus dem anderen entstehen zu lassen und geistesgegenwärtig stets sofort die Aufmerksamkeit des Hörers suggestiv dorthin zu lenken, wo sich – in ständigem Wechsel – gerade das Wesentliche abspielt. Daher geschieht es, dass im Zweifelsfall die Oberstimme dominiert, und dass besonders die Bassstimme nicht jene Kontur der Phrasierung vorgeben kann, die zur korrelierenden Erfassung des Gesamtgeschehens erforderlich wäre. Wie schon bei der Sinfonia domestica zeigt sich, dass Roth vor allem sein Gespür für den Sinngehalt der Modulationen, die kadenzierenden Entspannungsmomente und die Spannungskräfte der Intervallik vertiefen sollte, und auch, dass das übermäßige Vorwärtsdrängen zu einer gewissen Atemlosigkeit, zeitweise zu einem erregten auf-der-Stelle-Treten führt. Auch sind manche verkürzten Phrasenschlussnoten keineswegs das geeignete Mittel, um in subtiler Weise für Klarheit zu sorgen – was ganz besonders am Schluss auffällt. Oft zieht gar eine unorganisch verkürzte Note mehr Aufmerksamkeit auf sich als die ebenmäßig austarierten Dauern zuvor – was wohl nicht dem erwünschten Effekt entsprechen dürfte. Trotzdem: es ist eine Aufnahme ganz auf der Höhe der Zeit, denn auch die Frage „wer macht es denn besser?“ spielt eine Rolle. Ich kann sie anhand der aktuellen Diskographie nicht beantworten. Der Booklettext ist solide, auch wenn er verpasst, dass das Thema des Trauermarschs aus Beethovens ‚Eroica’ nicht nur am Schluss in voller Gestalt in den Bässen auftritt, sondern als charakteristisches Fragment, fugierend, den ganzen Satz durchwebt.

Christoph Schlüren [18.01.2017]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Richard Strauss
1Sinfonia domestica op. 53 00:43:01
6Sinfonische Metamorphosen Es-Dur op. 142 (Studie für 23 Solostreicher) 00:25:56

Interpreten der Einspielung

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