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Besprechung CD

Simon Laks

Sinfonie • Sinfonietta pour cordes

cpo 555 027-2

1 CD • 51min • 2015, 2016

19.12.2016

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Was das Repertoire betrifft, ist diese CD eine Sensation. Die beiden wunderbaren Streichorchesterwerke von Szymon Laks, geschrieben von dem Auschwitz-Überlebenden ein knappes Jahrzehnt vor und knappe zwei Jahrzehnte nach der KZ-Hölle, und das späte Streichquartett-Lebensfazit Philipp Jarnachs, die ‚Musik zum Gedächtnis der Einsamen’, hier in einer gelungenen, da pietätvollen Einrichtung für Streichorchester, präsentieren einen Ausschnitt abseits des Mainstream der klassischen Moderne, der in jeder Hinsicht höchste Qualität, tiefste Aufrichtigkeit und intensiv gelebte, unabhängig gewachsene Musikalität bezeugt. Szymon Laks’ frühe Sinfonietta von 1936 ist noch deutlich von der französischen Schule geprägt, dabei aber so eigenständig wie vergleichbare Werke etwa von Martinu, Mihalovici oder Tansman. Seine Symphonie für Streicher von 1964 ist ein ganz großes Meisterwerk ihrer Zeit, in der expressiven Vehemenz und unsentimentalen Abgründigkeit der Aussage und zugleich Raffinesse der Ausarbeitung den bedeutenden Kammersymphonien von Schostakowitsch/Barschai oder Mieczyslaw Weinberg ebenbürtig, und darin von scharf kontrastierender Vielseitigkeit und kompakter Knappheit. Jedes Publikum der Welt ist mit diesen Werken zu fesseln und zu begeistern, wenn sie mit der entsprechenden Klarheit, Dichte, Intensität und technischen Souveränität vorgetragen werden (in letzterer Hinsicht wird den Musikern einiges abverlangt), und der langsame 5/4-Passacaglia-Satz der Symphonie lässt einen erschüttert zurück.

Philipp Jarnach ist ein anderer Fall. Seine Musiksprache ist weniger spektakulär, von vorneherein hintergründiger, subtil über die Zeiten hinweg fusionierend, was sich melodisch-kontrapunktisch wesensmäßig als von Renaissance-Vorbildern mitgeprägt zu erkennen gibt und in freitonal-dissonanter Kühnheit der Harmonik und einem expressionistisch aufrüttelnden Ausdrucksbedürfnis ausspricht. Die ‚Musik zum Gedächtnis der Einsamen’ von 1952 (danach ist Jarnach fast völlig verstummt) ist bis heute auch Kennern kaum ein Begriff (was übrigens auch für Jarnachs gesamte, nicht sehr umfangreiche, jedoch umso substanziellere Orchestermusik gilt, die noch der Ersteinspielung harrt). Jarnachs Musik transzendiert grundsätzlich die Begrenzungen von Metrik und Periodik, indem sie in höchst verfeinerter Weise mit ihnen spielt. Ein durchgehend bewusster Zusammenhang auf energetischer Ebene ist möglich und kann eine wirkliche Offenbarung sein, wenn man die harmonischen Spannungsverläufe klar erkennt und im Großen wie im Kleinen versteht, wo und wie es an Spannung zunimmt und wo und wie es sich relativ entspannt, und ob die durch vielerlei enharmonische Bezeichnungen und Wegstrecken oft nicht so einfach zu erkennenden harmonischen Bezüge unterquint- oder oberquintgeneriert (also introvertiert oder extravertiert verwandt) sind.

Die Aufführungen des Leopoldinum Kammerorchesters aus Breslau unter seinem Chefdirigenten Hartmut Rohde sind rhythmisch und auch intonatorisch sehr präzise. Die innere Notwendigkeit der Musik erschließt sich mir hier jedoch nicht. Ich denke nur unlängst an eine vulkanische und weitschauend klar gestaltete Aufführung der Symphonie von Laks durch die Deutsche Kammerakademie in Neuss unter Lavard Skou Larsen, und dann ist das Ergebnis hier doch – bei aller seriösen Solidität – blasser als möglich. Und in Jarnachs Musik erschließen sich natürlich viele erstaunliche Schönheiten, doch das modulatorische Geschehen wirkt, da nicht wirklich begriffen, zufälliger als es tatsächlich ist, und daher kann sich keine durchtragende Kontinuität einstellen und die Form nicht in unwillkürlicher Weise wie von selbst entstehen. Aber das sind natürlich auch sehr hohe Forderungen, die kaum je irgendwo eingelöst werden. Trotzdem, und auch wenn man nicht darum weiß: die Musik stellt diese Forderungen.

Nichtsdestoweniger haben das Orchester und sein Dirigent das Verdienst einer wertvollen Ausgrabung und sinnvollen Zusammenstellung. Übrigens wäre eine weniger prätentiös posierende Selbstinszenierung des Dirigenten (der auch den ordentlichen Begleittext verantwortet) im Booklet (und dies in inflationärer Ausführung!) meiner Ansicht nach Zeichen besseren Geschmacks gewesen, doch das berührt die vorangegangenen Ausführungen nicht.

Christoph Schlüren [19.12.2016]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Simon Laks
1Sinfonie pour cordes 00:20:44
5Sinfonietta 00:15:39
Philipp Jarnach
9Musik zum Gedächtnis der Einsamen 00:14:34

Interpreten der Einspielung

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