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Besprechung CD

Straight from the Heart

The Chansonnier Cordiforme

Naxos 8.573325

1 CD • 70min • 2014

17.10.2016

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Herzförmiges Liederbuch – Chansonnier cordiforme - heißt die Handschrift der Lieder dieser Einspielung. In der Tat ist das geschlossene Manuskript in Form eines Herzens zugeschnitten, so dass sich beim Aufschlagen zwei aneinander geschmiegte Herzen ergeben. Urheber dieser einzigartigen Herzhandschrift ist ausgerechnet ein Geistlicher – Jean de Montchenu (1442-1506), Mitglied des Antoniter-Ordens: Er wurde in Rom Doktor des kanonischen Rechts, stand dann in den Diensten des Bischofs von Genf, und wurde 1478 Bischof von Viviers. 1497 wurde er auf einer Schiffsreise nach Rom Opfer nordafrikanischer Piraten, die ihn bis zu seinem Freikauf durch den Mercedarier-Orden 1505 in Gefangenschaft hielten. Seit 1498 war sein Bischofssitz anderweitig besetzt worden, sein letztes Lebensjahr verbrachte er in Saint-Antoine-l'Abbaye, der Mutterabtei seines Ordens. Im Begleittext dieser CD wird ein Zeitgenosse zitiert, der Jean de Montchenu ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausstellt: „… ein besonders heimtückisches Individuum, von beschämendem Benehmen, unkeusch, verachtenswürdig, zügellos und voll sämtlicher Laster“.

Über Geschmack und Kultur hat Monseigneur de Montchenu freilich in hohem Maße verfügt, wie das außerordentlich schöne Chansonnier cordiforme und die hohe Qualität der darin vereinten Musik beweisen. Die Handschrift entstand um 1470, sie enthält 44 Chansons (30 auf französische, 14 auf italienische Texte), und neben einer Anzahl anonymer Meister tauchen unter den Komponisten so berühmte Namen wie Gilles Binchois, Guillaume Dufay, Johannes Tinctoris und Johannes Ockeghem auf.

Das gesamte Korpus des Chansonnier Cordiforme ist 1979 vom Consort of Musicke unter Anthony Rooleys Leitung aufgenommen worden, diese Einspielung zählt zu den legendären Meilensteinen in der Diskographie mittelalterlicher Musik – und sie erschien 2011 als Wiederveröffentlichung. Es ist keine leichte Aufgabe für ein Ensemble der jüngeren Generation, gegen Musiker anzutreten, die für die historisch orientierte Aufführungspraxis den Status von Kirchenvätern und –müttern (wie man heute korrekterweise sagen muss) genießen.

Dennoch zeigt die heutige Interpretation der hier vereinten Auswahl von Liedern aus dem Chansonnier cordiforme durch das Ensemble Leones unter seinem Leiter Marc Lewon, dass die musikalische Ästhetik auch der historisch informierten Aufführungspraxis in den letzten 35 Jahren nicht dieselbe geblieben ist. Es mindert den Wert der grandiosen Aufnahme von 1979 in keiner Weise, wenn jetzt zu sagen ist, dass die jüngst vergangenen Jahrzehnte der Anschauung der Musik aus der Zeitenwende zwischen dem späten Mittelalter und der Renaissance neue Horizonte eröffnet haben – und diese liegen nach dem Vergleich dieser beiden Aufnahmen von Musik höchster Qualität aus dem 15. Jahrhundert eindeutig in einer klarer nachvollziehbaren Deutung des emotionalen Gehalts dieser Musik. Da gehen Marc Lewon sein Ensemble Leones (die übrigens aus der hervorragenden Musikerschmiede der Schola Cantorum Basiliensis hervorgegangen sind) nicht den heute gern beschrittenen Weg der emotionalen Angleichung an unsere Vorstellungen eines wiederbelebten Mittelalters: So etwas läuft ja häufig auf eine musikalische Begleitung volkstümlicher Mittelaltermärkte hinaus, die gern auf Marktplätzen stattfinden und so authentisch sind wie volkstümelnde Popmusik mit Drehleier und Laute. Nein, hier nehmen die Musiker ihre 500 Jahre alte Musik so ernst wie die besten Barockspezialisten die Werke von J. S. Bach – sie deuten die Musik des 15. Jahrhundert als einen geistigen Kosmos mit eigener jahrhundertealter Verwurzelung in der Tradition, und lassen sich dennoch von der zeitlos schönen Gegenwart dieser Klangwelt verführen, sie als Musiker unserer Zeit über die Brücke der Jahrhunderte hinweg in unsere Gegenwart zu transportieren.

Vergleichseinspielung: Le Chansonnier Cordiforme, The Consort of Musicke – Anthony Rooley, DEC 4801819 (3 CDs), AD: 1979

Detmar Huchting [17.10.2016]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Anon.
1L' autre jour, par ung matin 00:04:01
2Helas, n'aray je jamais mieulx 00:03:19
3Terriblement suis fortunee 00:01:57
Hayne van Ghizeghem
4De tous bien plaine est ma maistresse 00:07:12
Gilles Binchois
5Like a hapless coman 00:05:40
Johannes Vincenet
6Fortune, par ta cruaulté 00:03:59
Anon.
7Adieu vous dy l'espoir de ma jonesse 00:04:31
Johannes Tinctoris
8Le souvenir 00:01:07
Anon.
9Ben lo sa Dio se sum vergine e pura 00:05:30
10Chiara fontana de belli costumi 00:01:22
Robert Morton
11N'aray je jamais mieulx que j'ay 00:03:32
Guillaume Dufay
12Noble lady and lovely as gold 00:04:01
Johannes Tinctoris
13De tous biens playne 00:01:20
Anon.
14O pelegrina, o luce, o clara stella 00:01:56
Johannes Ockeghem
15Ma bouche rit et ma pensee pleure 00:05:52
Anon.
16Ma bouche plaint les pleurs de ma pensee 00:01:56
17La gratia de vos, donsella 00:02:01
18Comme ung homme desconforté 00:03:22
19Perla mya clara, o dolce amore 00:07:44

Interpreten der Einspielung

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