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Besprechung CD/SACD stereo/surround

BIS 2128

1 CD/SACD stereo/surround • 65min • 2014

25.05.2015

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Auch wenn nicht jedes Detail unübertroffen sein mag, ist dieser neue Nielsen-Zyklus Sakari Oramos mit seinem Königlichen Philharmonischen Orchester Stockholm, der nun mit den Sinfonien Nr. 2 und 6 abgeschlossen vorliegt, das neue Maß aller Dinge in Sachen Carl Nielsen. Man darf gespannt sein, wie sich der bald erscheinende Zyklus seines Freundes und Kollegen John Storgårds, des anderen herausragenden finnischen Dirigenten unserer Zeit, ausnehmen wird, und wir dürfen sicher sein, dass das höchst unterschiedliche Naturell der beiden Maestri auch sehr verschiedene Resultate zeitigen wird. Oramo ist vor allem ein blendender Rhythmiker mit hinreißendem Schwung und Elan, eine Ausnahmebegabung, was die transparente Durchleuchtung auch der überladensten und instrumentatorisch querständigsten Partituren betrifft, und er besticht stets mit großer Frische und Leichtigkeit. Freilich erscheint mir unbestreitbar, dass er gegenüber früheren Jahren auch erheblich an Tiefgang gewonnen hat, was in der erfüllten Breite und unbestechlichen Linienführung in den kontrapunktischen langsamen Sätzen dieser Aufnahme (neben dem wirklich ergreifend gestalteten Andante malincolico der 2. Sinfonie auch der fugierende Adagio molto-Zwischensatz im sanguinisch ausgelassenen Finale der Zweiten und natürlich die Proposta seria aus der Sechsten Sinfonie) in unwiderstehlich kontinuierlich, dicht und spannungsreich sich ausfaltender Weise zum Ausdruck kommt) und es wäre sehr spannend, bescherte er uns in nächster Zeit einen neuen Sibelius-Zyklus. So grandios in Form wie hier, gehört Oramo zu den substanziellsten Orchesterleitern unserer Zeit.

Der Kopfsatz der 1901-02 komponierten 2. Sinfonie, deren vier Sätze die vier Temperamente abbilden, überwältigt mit erheblicher cholerischen Explosivität, doch vertrüge er als Ganzes, ohne dass ein Verlust an Schlagkraft und Verve entstünde, ein etwas gemesseneres Tempo, zumal es sich ja nicht um ein Allegro assai e collerico oder ein Presto collerico handelt, sondern um ein schlichtes Allegro collerico. Das folgende Allegro comodo e flemmatico ist erfreulicherweise kein bisschen verschleppt und vertrüge lediglich ein bisschen mehr Walzer-Charakter, was dann auch eine noch etwas entspanntere Gangart nicht langsamer erscheinen lassen würde. Im Finale Allegro sanguineo ist das jagende Tempo in absoluter Übereinstimmung mit dem gebotenen Ausdruck, der ohnehin zu Oramos Domänen zählt. Umso erstaunlicher, dass das Andante malincolico der eigentliche Höhepunkt dieser Einspielung ist, wie eben auch der Adagio molto-Einschub im Finale, den Oramo nicht nur sowohl äußerst zart als auch mit höchster Präzision und absoluter linearen Konzentration musizieren lässt, sondern offensichtlich in Achteln dirigiert, was zwar nicht in der Partitur steht, aber sowohl den Charakter viel besser trifft als Viertel als auch das sehr breite Tempo wirklich bezwingend erscheinen lässt. Auch die sehr gemessene Gangart des beschließenden, schmetternden und doch eben nicht dümmlich primitiv auftretenden Marziale gelingt rundum plausibel.

Die 6. Sinfonie von 1924-25 benannte Nielsen dreist irreführend ‚Sinfonia semplice’. Ich weiß nicht, ob es sich um uneingeschränkt großartige Musik handelt wie in allen Vorgängersinfonien, aber zweifelsohne um höchst interessante, vertrackte, humoreske, verrückte, querständische, mit höchster Könnerschaft ausgeführte. Auch hier, sowohl im Kopfsatz mit seinen subtil wechselnden Tempo-Ebenen und fortwährenden Attacken gegen jegliche Hörerwartung als auch im überdrehten Variationen-Finale, dessen Anfang wie eine verschrobene, von den Streichern in die Bläser verlegte Paraphrase auf die Kaskade am Final-Beginn aus Beethovens Eroica wirkt, dirigiert Oramo mit einer Souveränität, die musikantische Natürlichkeit mit erlesenstem Geschmack verbindet und mit unübertrefflicher Geistesgegenwart das Kollektiv durch die schroffen und pittoresken Wechselfälle der anarchischen Faktur navigiert. Der lakonische Humor der Allegretto-Humoreske liegt ihm nicht weniger, und die Proposta seria entfaltet sich im unerschütterlich verhaltenen Adagio-Tempo mit einer selbstverständlichen Macht, in der klarer Struktursinn, spontanes Hören und Innigkeit eine unaufhaltsame Entwicklung in Gang setzen.

Hiermit liegen von allen sechs Nielsen-Sinfonien endlich auch Aufnahmen vor, wo der strukturierende Umgang mit der problematischen Orchestration, die oftmals die tragenden Stimmen verdeckt und viele Ungleichgewichte umherschleppt, so weit getrieben ist, dass man sich endlich über die paar wenigen Stellen genauer unterhalten kann, an welchen eine klar strukturierte Darbietung trotz allem nicht möglich ist. Und all das geschieht ohne Einbußen an Wucht, Schneid und Kraft, wenn man sich nicht an Hörgewohnheiten festgebissen hat, die auf der Sperrigkeit, den klanglichen Verdickungen und schwerfälligen Kantigkeiten beharrt, die wir von fast allen anderen Aufnahmen kennen. Hier ist dieses Problem fast komplett überwunden, in grandioser klanglichen Abbildung ausgeführt von einem Weltklasseorchester, das auf der bislang höchsten Höhe seiner Entwicklung steht (man wünschte angesichts der oftmals geradezu schwindelerregenden Virtuosität, dass Oramo hier, nach seiner Referenzaufnahme in Birmingham, noch einmal die Mantras von John Foulds aufnimmt, mit der vibrierenden Brillanz und aller Mühen enthoben scheinenden, schungvollen Clarté, die dieser nach wie vor unbekannten Musik gebührt). Da auch die Booklet-Einführungen von David Fanning aus kompetentester Quelle stammen, kann hier nur von einem überragenden Projekt die Rede sein.

Christoph Schlüren [25.05.2015]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Carl Nielsen
1Sinfonie Nr. 2 op. 16 FS 29 (Die vier Temperamente) 00:31:21
5Sinfonie Nr. 6 FS 116 (Sinfonia semplice) 00:32:32

Interpreten der Einspielung

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