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Besprechung CD

Schumann · Thieriot

cpo 777 843-2

1 CD • 61min • 2011, 2010

02.06.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Dieses Album, das anders als bei cpo sonst üblich Werke zweier Komponisten enthält, ist eine Sensation, und es ist kein Zufall, dass hier Klavierquartette von Robert Schumann und Ferdinand Thieriot kombiniert wurden. Doch Achtung: es handelt sich hier nicht um das berühmte Klavierquartett Es-Dur op. 47 von Robert Schumann, sondern um ein unfertig gebliebenes Frühwerk in c-Moll, das der führende Schumann-Experte Joachim Draheim akribisch komplettierte. Das Autograph dieses 1829 entstandenen, ambitioniert viersätzigen Werks ist seit 1974 öffentlich zugänglich und wurde erstmals 1979 von Wolfgang Boetticher herausgegeben, jedoch, wie Draheim in seinem engagiert informierenden Booklettext darlegt, in sehr schlampiger und dilettantischer Weise, zumal ja auch wirklich eine ganze Menge zu ergänzen ist. 2010 legte Draheim bei Schott seine Fassung vor, die hier erstmals eingespielt wurde.

Wie etwa auch in seiner wenige Jahre später komponierten, in zwei Sätzen vollendeten „Zwickauer“ Sinfonie in g-Moll ist Schumann hier noch weit mehr ein visionär besessener Sucher als ein Meister des Handwerklichen, wenn man vom selbstverständlich beherrschten und unverkennbaren Klaviersatz absieht. Die drei Streicher werden über weite Strecken so behandelt, dass es eine Stimme weniger ebenso gut getan hätte – lediglich Passagen wie die deutlich vom späten Beethoven angeregte, sperrig-wagemutig kontrapunktierende Mittelsektion des zentralen Andante verlangen die Quartettbesetzung. Die Streicher werden sehr undankbar behandelt, doch strahlt uns überall, bis in eine gewisse Redundanz mancher Sequenzen, der enthusiastische Genius des jungen Meisters entgegen. Mit anderen Worten: wenn man den frühen Schumann besser kennenlernen will, lohnt dieses Werk, und für die ausführenden Musiker ist es eine Herausforderung.

Schumanns obsessive Veranlagung äußert sich erneut ganz besonders auf der rhythmischen Ebene, so im durchgehend schnellen Siciliano-Rhythmus des Finales (zurückgehend auf den Kopfsatz von Beethovens siebter Sinfonie, jedoch im engeren Korsett des 3/8-Takts geschrieben) – und dieser Rhythmus allein ist schon eine höchste Präsenz einfordernde Angelegenheit. Meinem Empfinden nach wird allerdings der zyklisch wirksame Vorausgriff darauf im Trio des Menuetts in dieser Aufnahme zu langsam genommen. In einigen bemerkenswerten melodischen Kleinigkeiten übrigens weichen die Musiker bewusst von Draheims Ausgabe ab.

Der wesentliche Grund, warum sich die Anschaffung dieser CD wirklich lohnt, ist das 1875 bei Ries & Erler erschienene 2. Klavierquartett Es-Dur op. 30 von Ferdinand Thieriot (1838-1919). Ich habe bisher nichts von ihm gekannt, und das ist beschämend. Es stimmt, dass Thieriot (in diesem Werk zumindest) durch und durch „Schumannianer“ ist, und es stimmt auch, dass die Musik eigene Züge aufweist und bei unbefangenem Hören mit Schumanns besten Kammermusikwerken auf einer Stufe steht. Alle vier Sätze sind vollendet gearbeitet, alle sind äußerst spannend im durchgehenden harmonischen Verlauf, von bezwingend zusammenhängender Formung, melodisch herrlich gesanglich und kontrapunktisch anspruchsvoll, es gibt nicht den geringsten Einwand, nicht die minimalste Einschränkung vorzubringen: Dieses Werk würde, wäre es von einem der anerkannt großen Meister, zum Kernrepertoire gehören. Was für eine Dichte des Satzes, Fülle der Gedanken, Intensität der Gestimmtheit, welche Balance tiefer Verinnerlichung und raumgreifenden Höhenflugs auf Messers Schneide (auch hierin Schumann seelenverwandt), von Brillanz und Substanz, Rücksichtslosigkeit und Verbindlichkeit! Für solche Musik lieben wir unsere großen Meister, und deren gibt es mehr, als wir ahnen.

Thieriot steht, wie beispielsweise auch Hermann Goetz, weit über den vielen „Epigonen“ der zweiten Reihe, und zu gerne hörte ich als nächstes erst einmal eine seiner zehn (!) Sinfonien. Was die Aufführung betrifft, so ist sie kultiviert und mit dem Werk gebührendem Enthusiasmus und Schwung gespielt, mein genereller Einwand ist lediglich ein öfter zu wenig biegsames, vom Klavier ausgehend zu gleichförmig kräftiges Forte. Tontechnisch gibt es keine Einwände, und Joachim Draheims Booklettext ist in jeder Hinsicht vorbildlich informativ, wenngleich ich finde, dass er mit den Thieriot-Aktivisten auf Wikipedia zu hart ins Gericht geht, denn: Würde sich die Musikwissenschaft, in Zusammenarbeit mit den großen Verlagen, gründlich dieser vergessenen Meister annehmen, anstatt die soundsovielte Arbeit zu oder Ausgabe von altbekannten Schlachtrössern vorzulegen, so wären wir hier nicht allein auf den Enthusiasmus nischenbegeisterter Laien angewiesen. Mithin, Musiker, Musikwissenschaftler, Verleger: widmet euch Ferdinand Thieriot, die Hörer werden es euch danken!

Christoph Schlüren [02.06.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Robert Schumann
1Klavierquartett c-Moll Anhang E1 00:29:37
Ferdinand Thieriot
5Klavierquartett Es-Dur op. 30 00:31:37

Interpreten der Einspielung

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