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Besprechung CD

Violin Solo 7

Renate Eggebrecht

Troubadisc TRO-CD 01444

3 CD • 2h 40min • 2011

05.06.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 7

Von Zeit zu Zeit erscheinen auf demTonträgermarkt Produktionen, die, für sich genommen sehr interessant sind, weil sich in ihnen eine starke künstlerische Persönlichkeit ausdrückt, die aber kleinere Mängel aufweisen: Da hat etwa ein Sänger seinen Zenit überschritten oder ein Chor singt nicht ganz auf der Höhe der Zeit, wird aber von einem unwiderstehlichen Charismatiker dirigiert. Für den Kenner der betreffenden Werke, der über diese Mängel hinweghören kann, können solche Produktionen neue Einsichten eröffnen, während derjenige, der sich erst mit diesen Werken vertraut machen will, besser zu einer der repräsentativen Aufnahmen greift.

Genau einen solchen Fall stellt die Gesamteinspielung der Bach´schen Werke für Violine solo dar, welche die Geigerin Renate Eggebrecht jüngst auf dem (von ihr übrigens mitbegründeten) Label Troubadisc publizierte. Mit dieser aufwendig gestalteten Box beschließt die deutsche Geigerin ihre sieben Volumina umfassende Edition mit Werken für Violine solo; in einem in seiner Tiefgründigkeit sehr lesenswerten Gespräch mit dem Musikautor Christoph Schlüren, das dem Schuber beigelegt ist, äußert sie sich ausführlich zu dieser Edition und speziell zur Musik Bachs. Mit dieser beschäftigt sich Renate Eggebrecht seit ihrer Kindheit.

Eben diese lebenslange, intensive Beschäftigung teilt sich in dieser Totale auch mit. Wer hier intensiv zuhört, kommt unweigerlich zu dem Urteil, dass die Violinistin interpretatorisch eine tiefe Einsicht in diese Musik hat. Die Frage ist, ob Renate Eggebrecht diese unleugbare Kenntnis tatsächlich auch immer vermitteln kann. Einem gänzlich ungetrübten Hörvergnügen steht der rauhe, mitunter harsche Ton entgegen, der zumal in der Tiefe ein wenig Flexibilität vermissen läßt. Beachtlich hingegen ist die Kraftentfaltung und Frau Eggebrechts Fähigkeit, große Formen vollkommen zu durchdringen und dadurch überblickbar zu machen; solche monumentale Sätze wie die Fuge der 3. Sonate C-Dur oder die berühmte Ciaccona aus der 2. Partita d-Moll gewinnen sehr durch die dort verwirklichte Dispositionsfähigkeit.

Viele Überlegungen und detaillierte Analysen hat Frau Eggebrecht zur Frage der musikalischen Stimmung angestellt, was sie auch im Interview erläutert: Die Temperierung faßt sie nicht etwa nach einer groben Differenz, etwa dem Unterschied zwischen „rein“ und „temperiert“ auf, sondern auf elementarer Ebene gleichsam situationsabhängig; sie betont die mehrdeutigen Tonbeziehungen, die Bach auskomponiert hat und die sich einer eindeutigen, gleichsam korrekten Temperierung widersetzen. Rein von der Temperierung und der Intonation ist das klangliche Resultat somit – das gilt für alle sechs Werke – ein sehr differenziertes, in das man sich aber – auch das darf nicht verschwiegen – erst einhören muß; beim ersten Hören mag es so vorkommen, als ob die Intonation besonders, aber nicht nur in schnelleren Passagen, nicht ganz lupenrein ist. Immer wieder, etwa im Adagio der 1. Sonate, in den modulierenden Passagen des Largo der 3. Sonate oder in der Loure der 3. Partita, kommt es zu Eintrübungen. Auch, wenn diese musiktheoretisch gerechtfertigt werden können, kann man doch einwenden, dass es Bach – wie letztlich allen Musikern – wohl bei aller Mehrdeutigkeit des Tonsystems doch auf intonatorische Reinheit angekommen sein muss, und dass er nicht zuletzt mit gleich zwei Sammlungen für das Wohltemperierte Klavier gerade die durchaus kritikwürdige Nivellierung durch die gleichschwebende Temperatur begrüßte und ausdrücklich in allen ihren Möglichkeiten einsetzte.

Schwerer als diese Intonationsfragen, über die man diskutieren kann, wiegt, dass schnelle Sätze, etwa das Presto der 1. Sonate g-Moll, das Allegro assai der 3. Sonate C-Dur oder das „Preludio“ der 3. Partita E-Dur im Mikrobereich kleine Imperfektionen hören lassen, wiederum Intonationstrübungen, oftmals bei Doppelgriffen oder im akkordischen Spiel, sowie selten, aber doch verschleifte Passagen, etwa indistinkt gespielte oder verschluckte Zweiundreißigstel-Noten im Final-Allegro der 2. Sonate a-Moll, die fragen lassen, ob nicht ein bisweilen zurückgenommeres Tempo hier gut getan hätte. Nicht zuletzt die klare akustische Abbildung macht diese Imperfektionen offenbar.

Dem entgegen stehen großartig dargestellte Sätze wie etwa das einleitende Grave der 2. Sonate a-Moll oder die Sarabande der 1. Partita h-Moll, in welcher die hier durchaus auskomponierte Schwere der melodisch-harmonischen Entwicklungen erfahrbar wird . Von besonderem Interesse ist das Postludium II von 1981/82 Valentin Silvestrovs, mit dem diese Gesamteinspielung und auch die ganze Edition „Violin solo“ beschlossen wird: eine in ihrer Konzentration und ihrem Ausdrucksreichtum faszinierende Studie, in welcher der Komponist der verklingenden Musik nachlauscht; gleichzeitig wird ein geschickter Rückverweis auf Volumen 1 der nunmehr abgeschlossenen Violin-solo-Edition geleistet, die somit ein komplexes und geschlossenes Ganzes ergibt. Für die Gesamtschau der Bach´schen Solowerke für Violine kann man das Fazit ziehen, dass sie eher für einen fortgeschrittenen Hörer geeignet ist, der diese Musik bereits gut kennt und sich von einer in Details kritisierbaren, im Großen und Ganzen jedoch in ihrer geistigen Tiefe äußerst interessanten Deutung anregen lassen möchte.

Prof. Michael B. Weiß [05.06.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Sebastian Bach
1Sonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001 für Violine solo 00:17:12
5Partita Nr. 1 h-Moll BWV 1002 für Violine solo 00:30:50
CD/SACD 2
1Sonate Nr. 2 a-Moll BWV 1003 für Violine solo 00:18:49
5Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine solo 00:39:02
CD/SACD 3
1Sonate Nr. 3 C-Dur BWV 1005 für Violine solo 00:25:54
5Partita Nr. 3 E-Dur BWV 1006 für Violine solo 00:18:43
Valentin Silvestrov
12Postludium II 00:09:18

Interpreten der Einspielung

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