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Besprechung CD

Martinů Cello Sonatas 1-3

BIS 2042

1 CD • 78min • 2013

24.04.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Wenn mich mein Langzeitgedächtnis nicht völlig im Stich läßt, habe ich Olli Mustonen das erste Mal vernommen, als 1984 von einem unserer öffentlich-rechtlichen Sender das Abschlußkonzert des Genfer Wettbewerbs Junger Solisten übertragen wurde. Er spielte damals den zweiten und dritten Satz aus Maurice Ravels G-Dur-Konzert – und ich erinnere mich, wie der junge Bursche mit dieser Musik regelrecht explodierte: Bei den Peitschenhieben im Finale klatschte er gar in die Hände, als hätten die Begeisterung über den persönlichen Erfolg und die hemmungslose Freude an der Komposition alle Schleusen geöffnet ...

Jetzt wird er bald siebenundvierzig, hat als Pianist, Dirigent und Festspielleiter eine umfassende Karriere gemacht, obendrein dies und das komponiert – und die Flamme, die wir so oft unter den Arrivierten haben erlöschen sehen, lodert in ihm fort: Der Klavierpart der ersten Martinu-Sonate kam mir unter seinen Händen gleich wie eine direkte Fortsetzung des dreißig Jahre alten Ravel-Ereignisses vor, so sprüh(t)en hier die jazzigen Synkopen, die verzwickten Harmonien und die pure Laune, die sich durch die sofort hörbaren Gemeinsamkeiten mit dem Cellisten Steven Isserlis zu einer ebenso unbändigen wie ungebändigten Hochdruckveranstaltung auswächst und auf diesem Niveau bis zum Ende der gut fünf Viertelstunden verharrt.

Genau darin liegt indes das zentrale Problem der Einspielung. Während sich die beiden passionierten Virtuosen über ihre technischen Aufgaben keinerlei Gedanken machen müssen, jede noch so gewagte Eskapade und jeder Springbogen, jedes arpeggierte Grollen und Gleißen mit einem vollem Einsatz präsentiert werden können, ohne dass je die Gefahr des Entgleisens gegeben wäre, gibt es praktisch keine Entspannungsphasen. Wollte man beispielsweise die drei Sonaten von Bohuslav Martinu aus den Jahren 1939, 1941 und 1951 in dieser Interpretation einmal als zusammenhängende Trilogie hören – man lechzte nach der halben Strecke des rund 52-minütigen Weges nach emotionaler Lösung: Der permanente Hochdruck erzeugt geradezu stehende Wellen mit dem Resultat, dass sich die drei Stücke, von denen jedes seine unbestreitbaren Verdienste und Reize hat, praktisch wechselseitig garottieren.

Das müssen sich auch Isserlis und Mustonen gesagt haben, als sie auf den an sich begrüßenswerten Gedanken verfielen, das Defilee zu durchbrechen. Mustonens eigene Sonate (2006), ein weithin sehr ansprechendes, geschmackvoll halbtonales, expressives Werk, das nur im letzten seiner vier Sätze allzu deutlich auf den Effekt setzt (und für eine dezente Revision wohl dankbar wäre), ist zwangsläufig „authentisch“ ausgeführt, trägt aber in ihrer Intensität nur zur Erhöhung des Ohrinnendrucks bei. Und dieser steigert sich noch in der Malinconia op. 20, mit der Jean Sibelius den Tod seiner zweijährigen Tochter Kirsti bewältigen wollte: Die Wut trägt den eindeutigen Sieg über Trauer und Tröstung davon, was sich unter anderem in der rekordverdächtigen Spieldauer von 10'39 niederschlägt und somit zu Lasten der einkomponierten Ruhephasen geht.

Zwar will ich nicht annehmen, dass man sich aus Gründen der CD-Kapazität (die sonst durchschnittlichen dreizehn Minuten hätten das offizielle Fassungsvermögen gesprengt) derart beeilt und tiefe Musik nur beigefügt hat, um auch dem finnischen Nationalhelden einen Winkel einzuräumen – doch gerade dieses allzu heftige Extra fügt sich am wenigsten in die Dramaturgie ein und kollidiert zudem mit der dritten Martinu-Sonate, die gestisch und tonal nicht eigentlich einen Kontrast, sondern nur einen harten, schroffen Schnitt darstellt. Dass ich trotzdem zu einer recht hohen künstlerischen Benotung komme, liegt an der Auffassung der einzelnen Programmpunkte: Jede der insgesamt vier Sonaten ist mit äußerstem Engagement und Können realisiert, und die partnerschaftliche Gleichgestimmtheit steht außer Frage. Gleichwohl sollte man das Ganze in homöopathischen Dosen einnehmen – dann klappt’s sogar zwischen den Nachbarn Sibelius und Martinu.

Rasmus van Rijn [24.04.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Bohuslav Martinů
1Sonate Nr. 1 H 277 für Violoncello und Klavier 00:15:59
Olli Mustonen
4Sonate für Violoncello und Klavier 00:14:37
Bohuslav Martinů
8Sonate Nr. 2 H 286 für Violoncello und Klavier 00:17:57
Jean Sibelius
11Malinconia op. 20 – Adagio pesante 00:10:39
Bohuslav Martinů
12Sonate Nr. 3 H 340 für Violoncello und Klavier 00:17:32

Interpreten der Einspielung

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