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Besprechung CD

Tzimon Barto Paganini Variations

Ondine ODE 1230-2D

2 CD • 85min • 2009, 2010

27.03.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Es gibt Musiker – und man darf sie getrost Interpreten nennen –, bei denen, wie es salopp der Volksmund bezeichnet, „etwas weitergeht“! Als ich jetzt die erste der sechs Paganini-Etüden von Franz Liszt in der Darstellung, genauer noch: in der gestalterischen Ausbeute von Tzimon Baqrto erlebte, da erinnerte ich mich an einen Wiener Konzertabend mit Barto und mit genau jenen sechs brillanten, allzu oft primär der mechanischen Virtuosität zugeordneten Stücke. Auch damals – es war der 17. Februar 1998 – ließ es der Pianist nicht darauf beruhen, die langen Tremoloketten lediglich als treibende, sauber geschüttelte Kräfte der melodischen Willensbildung beizusteuern. Nun aber, da Barto doch eine erhebliche musikalische Wegstrecke zurückgelegt hat – etwas unhöflicher formuliert, rund 15 Jahre älter geworden ist, da scheint sich schon auf diesem eng umrissenen Werksektor eine Menge getan zu haben. Pauschal gerühmt, also bezogen auf alle hier dokumentierten Einspielungen, fühle ich mich an Bartos faszinierende Rameau-Aufnahmen erinnert. In deren Verlauf wirkte ein jeder Ton, eine jede Phrase und deren emotionale wie klangliche Ausprägungen wie von einem fühlenden Hirn auf die hochsensiblen Hände und deren Finger geleitet, gezaubert wirkten.

Barto nimmt für die sechs Liszt-Etüden fast 28 Minuten in Anspruch! Mit schnellem, sozusagen dem Hörerlebnis vorauseilenden Blick auf die Kassettenrückseite wird dem Klaviermusikkenner sofort klar, dass es hier ein Pianist auf keinen Fall auf Schnelligkeit, auf tempomäßigen Wettbewerb angelegt hat. Die genannte Eröffnungsetüde klingt auffallend dunkel, geheimnisvoll bereits im Auf- und Abwärts der zumeist sehr materiell, also plakativ brillant gespielt Skalen. Im Folgenden entwickelt und entwirrt Barto das musikalische Geschehen mit einer im Spektrum des Schattigen reich abgestufte Farben- und Konturendramaturgie. Es ist ein raunendes Vibrieren, zuweilen ächzt und rumort es aus dem klaviertheatralischen Untergrund. Und dann wieder erinnert Barto für kurze, genau platzierte Momente mit feinem Tremoloschliff an die die rein figurativen Möglichkeiten dieser Bewegungsvariante.

Völlig ungewohnt reagiert Barto auf die akkordischen Minigruppen am Beginn der zweiten Etüde. Während diese in allen mir bekannten Einspielungen und Konzertwiedergaben straff, stramm, also positiv hingesetzt, ja manchmal hingeschleudert in Erinnerung sind, gibt sie Barto geduckt, gleichsam in einem leisen Mezzoforte. Also keinesfalls prahlerisch und mit jenem Selbstbewusstsein, das man mit dem Auftreten eines gefeierten Reisevirtuosen unserer Tage verbinden würde. Eher schon mag man an Paganini denken, der mit diesen Akkorden nur das Kommende andeute wollte. Barto nun gelingt es meiner Ansicht nach, mit dieser wie „beiseite gespielten“ Introduktion, die glitschigen Skalen und die folgenden Schütteloktaven zu verheimlichen – es bleibt noch offen, was es mit diesem Stück auf sich hat…

Mit der Einspielung der Campanella ist dem Klavierregisseur Barto so etwas wie eine „Uraufführung 2014“ gelungen. Die weiten Sprungdistanzen der Eröffnung bleiben als Treffsicherheitsnachweis negiert. Behutsam im Tempo, behutsam im Anschlag nimmt er sich Zeit, die oberste Note im hellsten Diskant ohne jede Hast und Kurzlebigkeit aufblühen zu lassen. Da haben wir es tatsächlich mit einem bestens gestimmten Glöckchen zu tun und nicht mit einem spitztönenden Glassplitter. Es handelt sich also um ein Glöcklein in friedfertiger Umgebung und nicht um das flinke Geklingel einer Konzertpodiumssensation, mit dem von nun an manuelle Geläufigkeit und Geschicklichkeit demonstriert wird. Wundersam anschmiegsam und dennoch kraftvoll spürt Tzimon Barto den motorisch-klanglichen Reizen der folgenden Variationen und Quasi-Zwischenspiele nach. Es ist im sanften, gelegentlich furiosen Wirbel der Repetitionen, Triller und Akkordsalven als ob von dieser Musik nicht nur ein vielfaches Hell und Dunkel abstrahlen würde, sondern auch Düfte, die man mit der Nase zu hören glaubt.

Der Leser mag längst gemerkt haben, dass der schreibend Vortragende bei dieser Gelegenheit weit umfänglicher ins Detail und ins Schwärmen geraten könnte. Allein Tzimon Bartos liebevolle, ungemein bildhafte Ausgestaltung der Etüde Nr. 5 kann den Hörer in eine Stimmung versetzen, in der er mit der pianistisch intonierten „Jagd“ zugleich auch die guten Vorsätze des Tierschutzes im Einklang empfindet.

Auch die Paganini-Variationen von Brahms wirken in den Händen dieses ganz offenbar von einem äußerst wachen Gefühlsintellekt geleiteten Musiker wie Neuland im Einzelnen der Variationen und am Ende in der Totalität der beiden Hefte erkundet. Und gleiches gilt meiner Ansicht nach auch für die auf einer zweiten CD beigefügten Rachmaninoff-Variationen. In deren ebenso packend wie ziselierten Verlauf werden von Barto und dem von Christoph Eschenbach geradezu multisensibel ausgesteuerten Orchester ein Maximum an Gelenkigkeit, Witz, Melancholie und auch Düsternis herausgeholt. Selten erscheint das Dies irae-Motiv im Klavier so unbarmherzig bullig-schwarz eingeführt wie in dieser Ausführung!

Witold Lutoslawskis knapp gehaltene, inzwischen für die professionllen Klavierduos unverzichtbaren Paganini-Variationen serviert Tzimon Barto in knapp 5 Minuten als ein sich selbst begleitender Einzeltäter. Dies ist nicht nur effektvoll, es ist auch Kosten sparend…

Vergleichsaufnahmen: Liszt: Raekallio (Ondine ODE 777-2), Kladetzky (LP FSM 68718), Graffman (Sony 88725462392/7), Kuleshov (Van Cliburn Wettbewerb 1993 – Philips 438 906-2), Moss (Centaur CRC 2240), Magaloff (Philips 456 339-2),,Brancart (Koch/Discover DICD 920423), Howard (Hyperion CDA 67193), Hamelin (Hyperion CDA 67370), Brendel (LP Turnabout TV 34353 DS), Ludwig Hoffmann (LP Telefunken STW 30299), Petrov (Melodya MCD 144), E. Haase (Tacet 150), Kuleshov (VAIA 1265), Watts (Schwetzingen 1986 – Hänssler 93.718; EMI ); Brahms: Benedetti Michelangeli (Arezzo 1952 Hunt CD 903; London 1948 EMI CDM 7 64490-2; Warschau 1955 – Altara Archive 1007:Faerman (LP DG 2535 013), Bonatta (Astrée E 8754), Ousset (Accord 201152), Gabos (LP Qualiton LPX 1062), Harasiewicz (LP 6580 049), Petri (1937 Pearl GEMM 9916), Katchen (Decca 452 338-2), Arrau (Philips 432 304-2; Amsterdam 1974 Pentatone PTC 5186 170), Raekallio (Ondine ODE 777-2), Simowitsch (Ars Produktion 38 122), Graffman (Sony 88725462392/18), D. Kraus (LP Thorofon/Capella BTHK 241/7), Cherkassky (Nimbus Records NI 5020), Backhaus (1929 Biddulph LHW 018), Ohlsson (LP EMI 1C 063-02869 Q), Rösel (Berlin classics 0090722 BC), Ponti (Hongkong 1971 – LP Vox P-517.120), Thibaudet (Decca 444338-2), Anda (Testament SBT 1068), Biret (Naxos 8.501201), Shtarkman (Busoni-Wettbewerb 1995 – Divox CDX-25219-2), Kissin RCA 09026 68910 2), Tomassi (EMI 572779 2), Libetta (Lecce 2002 – VAI DVD 4225), Wild (Ivory 72008), Kobrin (Van Cliburn-Wettbewerb 2005 – Harmonia mundi HMU 907404), Gavrylyuk (DVD VAI 4357), Leonskaja (Teldec 2292-46450-2), Cziffra (EMI 50999 213251 2),

Peter Cossé † [27.03.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Franz Liszt
1Grande Étude de Paganini S 141 Nr. 1 (Tremolo) 00:06:03
2Grande Étude de Paganini Nr. 2 Es-Dur S 141 Nr. 2 (Octave) 00:05:33
3Grande Étude de Paganini Nr. 3 gis-Moll S 141 Nr. 3 (La Campanella) 00:05:08
4Grande Étude de Paganini S 141 Nr. 4 (Arpeggio) 00:01:57
5Grande Étude de Paganini S 141 Nr. 5 (La Chasse) 00:03:08
6Grande Étude de Paganini S 141 Nr. 6 (Thema und Variationen) 00:05:47
Johannes Brahms
7Variationen über ein Thema von Paganini a-Moll op. 35 00:26:33
Witold Lutoslawski
35Variationen über ein Thema von Paganini für 2 Klaviere 00:04:57
CD/SACD 2
Sergej Rachmaninow
1Rhapsodie über ein Thema von Paganini a-Moll op. 43 für Klavier und Orchester 00:26:01

Interpreten der Einspielung

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