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Besprechung CD/SACD stereo/surround

BIS 1643

1 CD/SACD stereo/surround • 79min • 2006

18.03.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Trotz der unmittelbaren, fast physischen Wirkung, die Dmitri Schostakowitschs Sinfonien auf den Hörer ausüben, gibt es doch einige Werke dieses Korpus, die es dem Interpreten äußerst schwer machen, da sie sich einer direkten und eindeutigen musikalischen Aussage widersetzen. Neben den Nummern vier und sechs ist dies vor allem die Fünfzehnte, die letzte Sinfonie und gleichzeitig das letzte reine Orchesterwerk des Komponisten. Ist es nun eine vorwiegend heitere, unbeschwerte Sinfonie, wie Schostakowitschs in einigen seiner offiziellen Äußerungen behauptete? Dirigenten wie Vladimir Ashkenazy (Decca) oder auch Rudolf Barschai (Brilliant) sind offensichtlich davon ausgegangen – nicht durchweg mit überzeugenden Ergebnissen. Oder handelt es sich um ein trauerverhangenes Abschiedswerk, wie man es aus den beiden (weit gelungeneren) Einspielungen Kurt Sanderlings heraushören mag?

Dann die rätselhaften Zitate aus Rossinis Wilhelm Tell (Kopfsatz) und Wagners Götterdämmerung (Finale) – kann bzw. soll man sie für bare Münze nehmen? Viele Dirigenten mussten vor dem rätselhaften Werk bereits unfreiwillig die Waffen strecken – und auch das eine oder andere Orchester: Die fast durchweg sparsame, mit zahlreichen Soli versehene Textur der Sinfonie deckt spieltechnische Schwächen (etwa des Prager Sinfonieorchesters unter Schostakowitschs Sohn Maxim bei Supraphon) gnadenlos auf.

Mark Wigglesworth gelingt in der letzten Folge seines Schostakowitsch-Zyklus bei BIS beinahe die Quadratur des Kreises. Er bietet in seiner bereits 2006 entstandenen Interpretation (warum die langen Wartezeit bis zur Veröffentlichung?) eine eindeutig „kritische“ Lesart. Doch im Gegensatz zum lyrisch-elegischen Grundcharakter der beiden Sanderling-Aufnahmen findet sich bei Wigglesworth eine Parade erstarrter Emotionen – je nach Satz wechselnd zwischen Sarkasmus, Groteske, steinerner Trauer und schließlich dem Leben entschwindender Müdigkeit. Wenn man seinem Dirigat etwas vorwerfen könnte, dann höchstens, in sein Ausdrucksspektrum nicht auch jene leichteren, pastellenen Schattierungen aufgenommen zu haben, die sich in dem Opus ebenfalls finden.

Doch die messerscharfe Attacke, die etwa den kompletten Kopfsatz prägt, vermag schon zu begeistern. Dass Wigglesworth hier ein noch langsameres Tempo anschlägt als Sanderling in seiner extrem getragenen Einspielung mit dem Cleveland Orchestra, fällt überhaupt nicht auf, da nicht nur alle Akzente an ihrem Platz sitzen, sondern auch das Orchester und seine Musiker (etwa die Solovioline!) virtuose Glanzleistungen vollbringen und das ungemein transparente SACD-Klangbild auch das kleinste Detail naturgetreu abbildet.

Im folgenden Adagio bringen die Interpreten das Kunststück fertig, jeden einzelnen Takt dieses brütenden sinfonischen Selbstgesprächs mit Spannung zu erfüllen, ohne die Erstarrung der Musik jemals zu lockern; folgerichtig klingt der Höhepunkt denn auch nicht verzweifelt, sondern statuarisch drohend.

Sehr schön gewählt ist dann das Grundtempo des Allegretto nach dem Wagner-Zitat im Finalsatz: nicht zu schnell – dann würde es lediglich balletthaft leichtgewichtig wirken –, aber auch fern von aller Larmoyanz. Die abschließenden skeletthaft klappernden Schlagzeugrhythmen sind dann mit äußerster rhythmischer Akkuratesse exekutiert – etwas, das auch nicht überall gelingt! – und im letzten Takt gestattet sich Wigglesworth dann kein langes Verweilen, sondern schließt die Sinfonie, wie es in der Partitur steht, fast unmittelbar nach Erklingen des letzten Glockenspiel-Tons.

So etwas wie Wärme freilich, wie sie etwa unter Sanderling oder Kirill Kondraschin (Melodija) selbst in diesem Satz hören ist, sucht man bei Wigglesworth vergeblich. Er bezieht konkret Stellung, hat sich für eine klar definierte Grundaussage der Sinfonie entschieden. Das geht vielleicht auch anders, doch wenn ein Interpret seine Sichtweise mit derart beeindruckender Konsequenz (und orchestraler Spitzenqualität) umsetzt, lässt sich davor nur der Hut ziehen!

Warum  nur, fragt man sich, findet sich als Beigabe dieser SACD die Sinfonie Nr. 1? Nicht dass an Interpretation und Klang auch nur das Geringste auszusetzen wäre – im Gegenteil! –, doch haargenau dieselbe Aufnahme wurde bereits veröffentlicht, im Tandem mit den Sinfonien Nr. 2 und Nr. 3 (BIS-SACD-1603). Wer den Zyklus bislang gesammelt hat, muss also mit einer Doppelung leben – daher die Abstriche in der Gesamtwertung.

Thomas Schulz [18.03.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Dimitri Schostakowitsch
1Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10 00:32:03
5Sinfonie Nr. 15 A-Dur op. 141 00:46:16

Interpreten der Einspielung

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