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Besprechung CD

Roméo Records 7248/9

2 CD • 2h 19min • [P] 2008

26.03.2009

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Der amerikanische, in Philadelphia geborene und dort aufgewachsene Pianist Craig Sheppard gehört zu jenen Künstlern, die zahlreiche Erfolge – genauer: eine echte Karriere – aufzuweisen haben. Und dennoch sind sie in einem bestimmten Kulturraum weitgehend unbekannt geblieben (allenfalls einem Fachpublikum mit diskographischen Neigungen ein Begriff und einem kleinen Kreis von Verehrern eine echte Herzensangelegenheit). Ein solches Schicksal erfuhren, erduldeten der italienische Pianist Sergio Fiorentino und bis wenige Jahre vor seinem Ableben auch sein kubanischer Kollege Jorge Bolet (ehe nämlich seine späten Decca-Einspielungen und seine Konzerte etwa in München für Furore und sozusagen für einen späten künstlerischen Frühling sorgten). Es ist in diesem Zusammenhang unbedingt zu erwähnen, dass Sheppard im April 1999 einen Soloabend in der Berliner Philharmonie gegeben hat, aber seine ungemein vielfältigen Aktivitäten konzentrierten sich auf die Vereinigten Staaten, auf asiatische Länder und – wie aus den ausführlichen Booklet-Notizen der zur Diskussion stehenden Roméo-Edition ersichtlich – auch auf englische Podien. Erwähnen darf ich auch, dass mir vor Jahrzehnten eine Liszt-Aufnahme Sheppards zum Überspielen geliehen wurde, die mir damals – zumal als glühendem Verehrer György Cziffras – recht verschlafen vorkam. Mithin: Vieles muss zusammentreffen, muss sich fügen, bis ein Pianist in einer Region Fuß zu fassen vermag. Ist er erst einmal etwas älter geworden, dann häufen sich die Schwierigkeiten mit den Agenturen und den Veranstaltern, selbst wenn der betreffende Musiker über eine so imponierende berufliche Vita verfügt wie Craig Sheppard.

Seine Ausbildung erhielt Sheppard zunächst am Curtis Institute in Philadelphia bei Eleanor Sokoloff, später an der New Yorker Juilliard School bei einem so namhaften Pädagogen wie Sascha Gorodnitzki. Private Studien bei Claude Frank und Lilian Kallir in Tanglewood erweiterten seine musikalischen Perspektiven, zudem „studentische“ Begegnungen mit Ilona Kabos, Peter Feuchtwanger, Clifford Curzon und im Rahmen des Marlboro Festivals mit Pablo Casals und Rudolf Serkin.

Nachdem Sheppard 1972 in New York debütiert hatte, gewann er im englischen Leeds die Silbermedaille. Von da an fand sein Spiel in England nicht nur Resonanz beim Publikum, es öffnete ihm auch die Türen zu pädagogischer Tätigkeit an mehreren namhaften Instituten wie etwa der Yehudi Menuhin School und der Guildhall School of Music. Auch die lange Reihe im Begleitheft genannter Dirigenten, mit denen Sheppard zusammengearbeitet hat, bezeugt das Ansehen, das der schon damals für seine Bach-Interpretationen geschätzte Pianist in der amerikanischen und angelsächsischen Musikwelt genoss (Charles Mackerras, Georg Solti, James Levine, Leonard Slatkin, Esa-Pekka Salonen, Yehudi Menuhin, Erich Leinsdorf etc.).

Nun aber – nach dieser Kurzfassung eines reichen, im wahrsten Sinne des Wortes klangvollen Lebensverlaufs – geht es um die aktuellen gestalterischen Angebote und Leistungen dieses namhaft Namenlosen. Im hörenden Blickpunkt stehen dabei die sechs Partiten von Johann Sebastian Bach, die Sheppard vor etwa fünf Jahren für das amerikanische Label Roméo Records aufgenommen hat (Roméo Records 7258/9 und 7269-70; genaue Produktionsdaten werden vom Herausgeber leider nicht mitgeteilt). Die Reihung der sechs Satzfolgen entspricht auf den beiden CDs nicht der vertrauten BWV-Zählweise. Sheppard beginnt mit der Partita Nr. 3 und favorisiert dann die Reihenfolge Nr. 2, Nr. 6, Nr. 5, Nr. 1 und endet mit der D-Dur-Partita (Nr. 4) zum krönenden Abschluss. Der grundierende Klavierton Sheppards ist hell mit einigen Zwischenfarben, wenn es die nachdenklicheren Episoden erfordern. In der Dynamik bleibt er zivil, das heißt: er lässt sich niemals hinreißen, dramatische Momente in den verzögerten Schrittkombinationen der dunkleren Tanzsätze oder auch brillantes Pulsieren in den finalen Gigues-Finali überzubetonen und mittels lärmender Erregtheit das klangliche Gesamtkonzept zu gefährden. Fern also jeglicher Exzentrik und aufgesetzten Detaileitelkeit, so betreut und entfaltet Sheppard „seinen“ Bach – wie mir vorkommt – aus der Gewissheit eines belesenen, in Fragen der Aufführungspraxis kundigen, aber keinesfalls stilistisch eingezwängten Interpreten, der den Hörer mit seinen Einsichten niemals überfällt, sondern ihm gewissermaßen Luft lässt, mit ihm die burlesken, schreitenden, höfischen, kapriziösen, ariosen und sprunghaften Themen aufzunehmen, einzuatmen und somit ohne Mühe im musikalischen Gedächtnis zu speichern.

Sheppards Technik – Geläufigkeit, elastische Egalität der schnellen Skalen etwa im Präambulum der G-Dur-Partita (Nr. 5), Feinabstimmung zwischen linker und rechter Hand zugunsten der Stimmentransparenz –, Sheppards Technik also bestätigt einen Musiker, der kompositorischen Anforderungen im Sinne dienenden Vermittelns begegnet. Liebhaber forcierter Gangarten in den raschen Passagen, wie sie Alexis Weissenberg in seinen EMI-LP-Aufnahmen in den 70er Jahren kühl-glitzernd bis rauschend in die Bach-Debatte katapultierte, aber auch Verehrer affektiv angereicherter, also rückblickend korrekter Bach-Philosophie (Andras Schiff!) werden bei Sheppard Überraschungsmomente vermissen, werden das expressive Profil dieser sechsteiligen „Clavir Übung Opus 1“ als ein wenig zu abgeflacht empfinden. Aber dies ändert – wie ich meine – nichts an Sheppards handwerklicher Souveränität und an der Ernsthaftigkeit seiner gestalterischen Haltung.

Die vom Klassik Center Kassel vertriebene Einspielung sollte hiesigen Veranstaltern Impuls genug sein, es einmal live mit Craig Sheppard zu versuchen, ihn also in ihre zukünftigen Konzertplanungen einzubeziehen. Und dies nicht nur als Bach-Interpreten, sondern als eine der ersten amerikanischen Klavierinstanzen mit weitreichenden literarischen Interessen.

Vergleichsaufnahmen: Weissenberg (EMI), Bahrami (Decca 476 3095), Feltsman (Camerata CM-15042-3), Kirkpatrick, (Music & Arts CD 976), Poblocka (Accord ACD 082-2), Xiao-Mei Zhu (Mandala 4958/59), Tureck (Great Pianists Philips 456 976-2). B. Roberts (Nimbus 5673/4), J. C. Martins (Concord Concerto), Seemann (Orfeo C 014 002 I), Pinnock (Hänssler 92.115), Schiff (Decca), Carolan (Signum CD 012)

Peter Cossé † [26.03.2009]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Sebastian Bach
1Clavierübung 1. Teil BWV 825-830 (Partitas Nr. 1-6)

Interpreten der Einspielung

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