cpo 999 970-2
1 CD • 63min • 2004
11.08.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Tonalität muss keinen Hinderungsgrund darstellen. Am geistigen Puls der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise komponieren. Das sinfonische Schaffen Aulis Sallinens – mittlerweile ist er in dieser Gattung bis zur Ordnungszahl 8 vorgedrungen – gründet von Anfang an auf dieser Erkenntnis. Lange vor der kontinentaleuropäischen Postmoderne hat die ältere Generation finnischer Tonsetzer, zu denen neben Einojuhani Rautavaara eben auch der 1935 geborene Sallinen zählt, zu einer Musik zurückgefunden, die auf tonalen Zentren beruht. Freilich musste man sich zuvor erst vom Übervater Sibelius stilistisch freischwimmen. Und wie hätte man dies besser vermocht als mit dodekaphonen Techniken und avantgardistischen Idiomen?! Doch damit war bei Sallinen Ende der 1960er Jahre Schluss. Er entwickelte jene originelle Sprache, die sich als „neotonal“ bezeichnen lässt.
In Nordeuropa ist die Gattung „Sinfonie“ niemals aus der Mode gekommen. Sallinen konnte schon mit seinen beiden ersten, einsätzigen Beiträgen auf diesem Gebiet an eine ungebrochene Kompositions- und Aufführungstradition anschließen. Seine künstlerische Tätigkeit stellt in mehrfacher Hinsicht ein Bekenntnis dar: Ohne die mit der musikalischen Aussage verbundenen Emotionen zu leugnen, wirkt alles stark geordnet, überlegt, vorab geplant, von logischem Denken gesteuert. Den Ausgleich zwischen ratio und emotio will dieser Künstler ebenso erreichen wie eine neue Sensibilität für pure Schönheit hervorrufen.
Dass zu letzterem auch die großen Antithesen gehören, verschweigt seine Musik ebenso wenig: Im Finalsatz Vivace giocoso (welche Paradoxie liegt in dieser Vortragsbezeichnung!) seiner nun erstmals mehrsätzigen Sinfonie Nr. 3 op. 35 von 1975 prügelt ganz am Ende das gesamte Blech und Schlagzeug einen zerklüfteten Ausbruch heraus, während Holzbläser und Streicher gewaltige Halteakkorde intonieren. Was will uns dies anderes sagen, als dass es keine Erlösung gibt?! Die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Ari Rasilainen agiert hier zu Recht gnadenlos und hämmert die Wiederholung des verzweifelten Ausbruchs noch trockener, endgültiger heraus. Ein zwischen Elegie und Munterkeit oszillierendes Wechselbad der Gefühle war schon die vorangegangene Chaconne. Der vom Eindruck, es seien enorme Naturkräfte (positive wie negative) am Werk, geprägte Eingangssatz der 3. Sinfonie Tempo energico ed sostenuto erleidet am Ende sogar quasi Schiffbruch.
Sallinens ästhetisches Konzept lässt an das von Mozarts Meisteropern denken: Alles subjektiv Heitere ist objektiv tragisch und alles subjektiv Tragische objektiv heiter. Auf diesem Erkenntnisweg folgt ihm sein Landsmann Ari Rasilainen mit großem Einfühlungsvermögen. Rasilainens Affinität zu Sallinens spezifischem Ausdrucksvermögen erweist sich vollends, wenn er den scheinhaften Charakter der „Tröstungen“, die die Sinfonie Nr. 5 op. 57 von 1984/85 für uns bereithält, durch genaueste Befolgung rhythmischer Verschiebungen zwischen einzelnen Instrumentengruppen aufdeckt.
Dass ihm die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, als deren Generalmusikdirektor Rasilainen seit 2002/03 amtiert – auch bei allen angedeuteten Zitaten beispielsweise aus Sibelius’ 1. Sinfonie und dem Adagietto von Mahlers Fünfter – so exakt folgt, spricht für das innige Verhältnis zwischen Dirigent und Orchester. Zudem wird erneut der Rang unter Beweis gestellt, den sich dieser Klangkörper als herausragendes Wiedergabemedium für zeitgenössische Musik mittlerweile errungen hat.
Richard Eckstein [11.08.2008]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Aulis Sallinen | ||
1 | Sinfonie Nr. 3 op. 35 | 00:24:21 |
4 | Sinfonie Nr. 5 op. 57 (Washington Mosaics) | 00:38:17 |
Interpreten der Einspielung
- Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz (Orchester)
- Ari Rasilainen (Dirigent)