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Besprechung CD/SACD stereo/surround

BIS 1350

1 CD/SACD stereo/surround • 76min • 2006

08.02.2008

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Wenn es überhaupt etwas gibt, was mich an dieser Produktion stört, dann ist es die Wehleidigkeit, die den wiederum sehr lesenswerten, höchst informativen Begleittext durchzittert und die mich, wenn sie denn authentisch sein sollte, erheblich an der Größe des Komponisten Jón Leifs zweifeln lassen müßte: Wäre diese faszinierende Persönlichkeit tatsächlich derart rasch beleidigt und entmutigt gewesen, wie das aus Árni Heimir Ingólfssons Worten zu lesen ist, dann hätte Leifs nicht mit der Musik seiner Heimat, mit tonalen Bildungen und organalen Stimmführungen, nicht mit dieser herrlich kantigen Explosivität komponieren dürfen, die ihn zu einer der markantesten Erscheinungen des 20. Jahrhunderts und unserer Gegenwart machen. Dann hätte er entweder als allzeit dienstfertiger Quartettenkomponist herumtun oder sich in jene unsäglich-unselige Reihe modernistischer Bastler einfügen sollen, die glaubten, gewisse Individualstile zu allgemeinem Gesetz erheben zu müssen.

Sicher, es ist überhaupt nicht schön, wenn sich tiefstes Engagement in der Gleichgültigkeit der Zeit „versendet”. Doch ein Charakter wie Jón Leifs, jedenfalls der, der mir aus seiner unglaublichen Musik entgegentritt, der muß schon bis in die Wurzeln an das geglaubt haben, was er da komponierte: Ob Orgelkonzert, Beethoven-Variationen oder Saga-Symphonie, ob die irrsinnige Explosion des Hekla, die Chorsachen oder die immer feineren, sparsameren Streichquartette – ein Publikum, das bereit ist, diesen Weg mitzugehen, wird man nur langsam heranziehen können, und wenn es einem aus erstem Unverständnis eine Nase dreht, muß man ihm nicht gleich den verlängerten Rücken kehren oder so dauersauer durch die Gegend rennen wie weiland Schönberg.

Genug davon! Vier Jahrzehnte nach dem Tode von Jón Leifs wird kaum noch ernsthaft am Rang dieser Musik zu deuteln sein, die einen doch immer wieder in den Grundfesten erschüttern kann. Insbesondere, wenn sie – wie beispielsweise die oben erwähnten Kammermusiken, Orchesterwerke und Vokalstücke – mit dem Engagement echter Überzeugungstäter ausgeführt werden. In diese Riege kann man sicherlich auch Herman Bäumer rechnen, der mit den Isländer Symphonikern und dem Schola Cantorum-Chor vor etwa drei Jahren bereits nachdrücklich für Leifs geworben hat (Vikingasvar: BIS-CD 1080) und jetzt eine unbedingt sensationelle Ersteinspielung vorlegt:

Sköpun Heimsins, der 1939 vollendete erste Teil der riesigen Edda-Trilogie, bricht aus der ohnehin ereignisreichen Landschaft dieses Komponisten mit einer Vehemenz und emotionalen Spannweite hervor, deren mannigfache Zauber den Hörer im besten Sinne des Wortes festbannen. Wie der zweite, bislang noch nicht erschienene Teil (1966) oder gar die Fragmente des Schlußstücks auch klingen mögen – „Die Erschaffung der Welt” bietet genug an musikalischen Visionen, die das Attribut „unerhört” verdienen. Zwei fabelhafte Solisten, der strahlende Tenor Gunnar Gu-dbjörnsson und der bis nach Nibelheim hinabsteigende Baßbariton Bjarni Thor Kristinsson, der risikofreudige, extrem geforderte Chor und das wieder einmal mitreißende Orchester schmettern, seufzen, dröhnen und hauchen Bilder von urtümlichster Schönheit – so in dem achten Satz Nótt, morgunn („Nacht, Morgen”), in dem die Musik fürwahr wie der Atem der Erde klingt, wie ein vorzeitliches, ganz allmähliches Sich-Rühren und -Regen aus Tiefen, wo selten ein Mensch gewesen ist ... Dann wieder Bersten und Krachen, die Idylle eines Dudelsacks, die bekannten und doch befremdlichen Luren, eine Orgel, die vibrierenden Organa der beiden Solosänger, knallende Orchesterschläge in einem ausgezeichnet eingefangenen Raum: Nein, Jón Leifs hätte keinen Grund, beleidigt auszusehen; er hätte wissen müssen, daß das, was er geschaffen hat, sich ebensowenig würde verstecken lassen wie die Urkraft der isländischen Geysire und Vulkane. Und wenn ich seine Musik hören, dann glaube ich fest daran, daß er das gewußt hat.

Rasmus van Rijn [08.02.2008]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Jon Leifs
1Edda (Part 1: The Creation of the World - Oratorium)

Interpreten der Einspielung

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