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CD • SACD • DVD-Audio • DVD Video

Besprechung CD

Dmitry Shostakovich

SWRmusic 93.188

2 CD • 2h 16min • 2005, 2006

26.02.2007

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Gerade zur Weihnachtszeit schickte uns einer unserer vorrangigen deutschsprachigen Kultursender Das neue Babylon in die Wohnzimmer – und zwar justament mit demselben Soundtrack, der mir kurz darauf zur Besprechung ins Haus kam und mir im Verein mit einem der „mitreißendsten Werke des sowjetischen Stummfilms” einige äußerst unterhaltsame, um nicht zu sagen: komisch-vergnügte Stunden bescherte.

Das lag zunächst einmal an dem 1929 gedrehten Streifen selbst, der dem technischen Terminus „schwarz-weiß” eine völlig andere Dimension verliehen hat. Die bösen bourgeoisen Kapitalisten auf der einen Seite, allen voran der üble Besitzer des Pariser Kaufhauses, das dem Film seinen Namen gab, gegenüber die seufzend-schwitzend-ächzenden Arbeiter, die – als der preußisch-französische Krieg auf der Kippe steht – durch den Ausbruch der Kommune plötzlich ganz ungeahnte Leistungen vollbringen: Auf einmal klatschen die Waschweiber so begeistert in ihre Bottiche, daß sie selbst mit dem Wasser in Berührung kommen; die Schuster hämmern mit so wuchtigen Hieben auf den Absätzen herum, daß ihre Produkte wahrscheinlich schon krumm und schief die Fabrik verlassen; und die Näherinnen kurbeln an ihren prähistorischen Singer-Modellen mit einem derartigen Elan, daß einem beim Zusehen ganz schwindlig wird und die angstvolle Frage, wer denn um alles in der Welt das Maschinenöl liefern soll, sich nicht will unterdrücken lassen ...

Es gibt aber auch einige wenige nicht propagandistische Momente, eine Reihe sehr schöner, expressiver Einstellungen – und es gibt als Verkäuferin die junge Elena Kuzmina, die in der Tat grandios agiert; aber insgesamt ist Das neue Babylon natürlich ein „Machwerk” der finstersten Polit-Maschinerie in einer Zeit, als sich die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen bereits umgekehrt und wieder gewendet und Väterchen Stalin gerade seine gewalttätigen Pratzen auf Mütterchen Rußland gelegt hatte.

Doch bei allem, was man vorbringen kann gegen den allzu platten Zweck dieses Films, bleibt die Musik von Dmitri Schostakowitsch. Sein Opus 18 ist diese Partitur, die Frank Strobel und das SWR-Rundfunkorchester Kaiserslautern hier nach den jüngsten wissenschaftlichen Rekonstruktionen in einer Weise eingespielt haben, die gleich mehrere Klassenziele erreicht. Erstens präsentiert uns diese kompletteste Aufnahme einen „Jugendstreich” des damals 23jährigen Komponisten, in dem eine Fülle stilistischer Kernelemente zu finden sind, Zeichen, Figuren und Symbole, die später immer und immer wieder auftauchen werden – das verbindet diese Filmmusik mit der ersten Sinfonie mehr als mit den experimentellen Piècen der damaligen Zeit, von denen die erste Klaviersonate sowie die beiden Feiertagssinfonien heute noch die bekanntesten sind. Zweitens erhalten wir auch mit dem Soundtrack allein (ohne alle optischen Zutaten) eine anderthalbstündige Paradevorstellung über die wahre Art, die Musik Dmitri Schostakowitschs zu exekutieren – mit all ihren verrückten Galoppaden, ihren emotionalen Höhenflügen und Tiefbohrungen, den grandiosen Bläsersoli, bei denen sich die Musiker aus Kaiserslautern ein ums andere Mal übertreffen. Und damit kommen wir zum dritten Nutzeffekt der Produktion: einem nachdrücklichen Hinweis darauf, daß dieses Orchester aus der Pfalz ganz ohne Zweifel ein Recht auf Leben hat und nicht, wie ja unausweichlich festzustehen scheint, mit einem andern – gewiß nicht minder lebenstüchtigen – nach „bewährter” Abwicklungsweis’ konglomeriert werden soll. Wo werden derlei Entscheidungen eigentlich getroffen? Auf dem Golfplatz? Zwischen zwei Bierchen? Ich weiß, daß dieser quasi pfitznersche Protestausbruch sinnlos ist, aber es muß doch wieder mal gesagt sein ...

Darüber will ich nicht vergessen, daß die exzellente, in allen Belangen prächtige Doppel-CD auch noch eine Suite aus der späten Filmmusik Ein Jahr wie ein Leben op. 120a enthält, die uns nun unsern Dmitri Schostakowitsch irgendwo zwischen der dreizehnten und vierzehnten Sinfonie, musikalisch aber eher zwischen der Elften und dem öden Lärm der Zwölften, allenfalls in der Nähe der noch zu wenig bekannten Dichtung Oktober op. 132 zeigt: Eigenartig, der konnte sogar aus seinen Versatzstücken etwas machen und selbst aus den kandierten Melodien seines Liedes von den Wäldern noch einige verdauliche Dinge destillieren ...! Musiziert wird hier, wie schon beim Opus 18, brillant.

Der einzige kleine Minuspunkt: Dem Booklet hätte eine Synopsis des Films mit Verweisen auf die verschiedenen Tracks recht wohl angestanden. Aber sonst? Hinreißend!

Rasmus van Rijn [26.02.2007]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Dimitri Schostakowitsch
1Das Neue Babylon op. 18 (Originalmusik zu dem Stummfilm) 01:31:30
CD/SACD 2
3Ein Jahr wie ein Leben op. 120a (Suite aus der Filmmusik) 00:44:19

Interpreten der Einspielung

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