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Besprechung CD

Georg Philipp Telemann

Markus-Passion

Amati ami 2302/2

2 CD • 1h 31min • 2004

11.04.2006

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 6
Klangqualität:
Klangqualität: 7
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 7

Hamburg ist eine der Heimstätten der oratorischen Passion, also jener Form der Passionsmusik, in der die musikalische Gestaltung der biblischen Passionsberichte durch verteilte Rollen und Einschübe von Chorälen und betrachtenden Arien eine dramatische Ebene erhält. Seit 1700 waren diese Stücke in der Hansestadt fester Bestandteil der Kirchenmusik in der Passionszeit, und zu Telemanns Aufgaben während seiner 46-jährigen Amtszeit als Städtischer Musikdirektor und Kantor am Johanneum gehörte es, alljährlich mit einer neuen Passionsmusik aufzuwarten. Da befand sich der Leipziger Kollege und Freund Johann Sebastian Bach in einer anderen Lage: Hier hatte die musikalische Rezitation eines Passionsevangeliums eine lange Tradition, und erst sein Vorgänger Johann Kuhnau hatte zaghafte Versuche mit oratorischen Passionen unternommen. Bach also betrat 1724 mit seiner Johannespassion und erst recht 1727 mit der monumentalen Matthäuspassion Neuland für die sächsische Handelsmetropole, wusste sich allerdings in den musikalischen Zielen einer solchen Komposition mit Telemann durchaus einig.

Von den 46 Passionen Telemanns sind die wenigsten erhalten geblieben, von der hier vorliegenden Markuspassion aber existiert sogar ein Autograph. Ihr Textdichter ist heute unbekannt, und er kann es an poetischer Kraft nicht mit dem Libretto aufnehmen, das Bachs Textdichter Picander für die Matthäuspassion anfertigte und das – so fremd diese religiöse Sprache uns heute auch sein mag – mit seiner Mischung dramatischer und pietistisch-frommer Texte dem Komponisten eine vorzügliche Textgrundlage lieferte. Telemanns Vorlage für diese Markuspassion bleibt dagegen konventionell und blass; seine Musik allerdings bringt Leben in die Schilderung der Leidensgeschichte Jesu und illustriert die dramatischen Situationen ebenso gut wie die Affekte, die in den Arien der drei allegorischen Figuren Andacht, Glaube und Treue geschildert werden.

Leider bleibt die Interpretation der vorliegenden Live-Aufnahme ähnlich konventionell und blass wie das Textbuch, und das liegt nicht nur daran, dass angesichts nur eines einzigen Mitschnittstermins offensichtlich auf Sicherheit musiziert wurde. Da haben es Serien von zwei oder drei Aufführungen leichter, wenn auch das Siegel „live“ bei einer Zusammenstellung von „Takes“ aus verschiedenen Konzerten einiges von seiner Glaubwürdigkeit verliert. Den Eindruck einer stimmigen oder gar mitreißenden Interpretation mag allerdings hier nicht aufkommen, dafür fehlt es an Atmosphäre und Geschlossenheit. Der Kammerchor der Biederitzer Kantorei zeigt mit seiner Besetzung von acht Sopranen, sieben Altstimmen und jeweils vier Tenören und Bässen alle Probleme, die auch einen entschiedenen Gegner der solistischen Chorbesetzung bei Kantaten J. S. Bachs wie Ton Koopman davon abhalten, in den einzelnen Stimmen über vier Sänger hinauszugehen. In dieser Markuspassion ist der Chorklang häufig verwaschen und leidet unter einem Übergewicht der hohen Stimmen, in dem jeder polyphone Ansatz der Chöre untergehen muss. Unter den Vokalsolisten sticht der helle und gut artikulierende Tenor des Evangelisten Michael Zabanoff positiv heraus (ein Glück, da er auch am häufigsten zu hören ist). Die weiteren Vokalisten nehmen die Anregungen des durchaus affekt- und gestenreich musizierenden Orchesters selten auf, besonders die beiden Sopranistinnen kommen über ein mit gerader Stimme ausgeführtes Absingen ihrer Partien nicht hinaus.

Eine vertane Chance also, einer Passionskomposition Georg Philipp Telemanns mit einer Ersteinspielung einen Ehrenplatz in der geistlichen Musik des deutschen Spätbarock zu sichern. Man muss schon ein eingeschworener Freund von Telemanns Musik sein, um zu erkennen, dass seine Zeitgenossen seine Talente als Komponist mindestens ebenso hoch, wenn nicht sogar höher schätzten als die von Johann Sebastian Bach. Sicherlich ist diese Markuspassion kein Werk auf Augenhöhe mit Bachs Matthäuspassion, die auch im Lebenswerk ihres Komponisten einen Gipfelpunkt darstellt. Dennoch – hätte für Telemanns Markuspassion ein ähnlich hochkarätiges Ensemble zur Verfügung gestanden wie Ton Koopmans Equipe seiner jüngsten Aufnahme der Bachschen Matthäuspassion, die Ohren manches Zeitgenossen unserer Tage wäre weit aufgetan worden für die dramatischen und geistlichen Qualitäten von Telemanns Kirchenmusik. Immerhin war er doch 1723 den Hamburger Autoritäten zwei Gehaltserhöhungen wert, damit er in den Mauern ihrer kulturbeflissenen Stadt bliebe anstatt die Leipziger Thomaskantorenstelle anzunehmen, auf die dann ein gewisser Johann Sebastian Bach berufen wurde.

Detmar Huchting [11.04.2006]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Georg Philipp Telemann
1Markus-Passion TWV 5:40 (1755)

Interpreten der Einspielung

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