Roger Norrington
Schumann
Konzerteinführung in englisch von Roger Norrington

SWRmusic 93.161
1 CD • 71min • 2004
24.11.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In meinen Augen ist Roger Norrington auf dem direkten Wege zur tragischen Figur. Er weiß so viel, hat so viele gute, ja brillante Ideen, studiert, was er aufführt, mit enormer Akribie und findet dabei oft ganz erstaunliche, immer äußerst kluge Dinge heraus. Dann aber hebt er den Taktstock...
Seit Norrington, damals noch mit den London Classical Players, seinen „Turbo-Beethoven“ herausbrachte, habe ich das immer wieder erlebt. Und seither muß ich immer wieder hören, daß er nur einen Bruchteil seines Wissens und seiner Erkenntnisse in Klang umzusetzen versteht. Ich korrigiere mich: Nicht der Klang ist das Problem! Der ist, wie so vieles, was Norrington austüftelt, jedesmal überraschend plausibel, durchsichtig, fein zwischen den einzelnen Orchestergruppen balanciert, in seiner Stimmführung exzellent durchdacht. Doch was habe ich davon, wenn mich die gesamte Veranstaltung emotional nicht mehr berührt als der hundertste Weinkrampf von Lisa Plenske? Gerade jetzt wieder, bei der Aufführung der beiden Schumann-Sinfonien, über die er kurz und bündig einiges Richtige und Wichtige in seinen Moderationen und im Booklet zu sagen hat – gerade in dieser Musik, die er zumindest intellektuell begriffen hat, fehlt das, was Schumann zu Schumann macht: die Passion.
Sie fehlt, weil Norrington grundsätzlich alles Wissenswerte herunterbuchstabiert. Wenn ich in der Einleitung der vierten Sinfonie die dritte identische Phrasierung höre und weder zur zweiten noch zur vierten, fünften oder sechsten dieser Sechsachtelgruppen einen Unterschied entdecke – wenn sich mit andern Worten ein über die Phrasen hinausgehender Spannungsbogen nicht einstellen will, sondern alles nur eine Aneinanderreihung der kleinen, vorgedruckten Bögelchen ergibt, dann schwant mir bereits Arges. Und das wird traurige Realität, wenn zwischen den Tempi der auffallend zügig genommenen Introduktion und dem nachfolgenden Allegro anstelle des emotionalen Befreiungsschlages gerade einmal mit spitzen Fingern in den nächsten Gang geschaltet wird. Just in diesem Moment ist das Stück genauso verloren wie das Klavierkonzert nach dem falschen, tödlichen Ritardando im zweiten Takt.
Entsprechendes gilt für die zweite Sinfonie, die wiederum sehr schön durchdacht, überlegt, in ihren klanglichen Verläufen organisiert wirkt – und die wieder nicht funkt. Denn Florestan und Eusebius, auf die sich Norrington natürlich bezieht, sitzen sich nicht am Schachbrett gegenüber, und sie debattieren auch nicht im Gelehrtenstil über Johann Sebastian Bach, der durch dieses Werk geistert. Nein, „halb krank” war Schumann nach eigenen Aussagen, als er dieses Werk komponierte. „Erst im letzten Satz fing ich an, mich wieder zu fühlen.” Doch wo ginge es hier durch Nacht zum Licht? Wo spürt man etwas von der „kontrapunktischen Kur”, die sich der Komponist damals verordnete, von dem Kampf, den er mit der Tücke des polyphonischen Objekts auszufechten hatte, das Sich-Herausarbeiten und die allmähliche Befreiung? Irgendwo zwischen zwanghaftem Non-Vibrato und additiver Phrasenbildung bleibt etwas nicht ganz Unbedeutendes auf der Strecke: Der Geist dessen, der die Musik schuf. Der aber war ein Davidsbündler und kein Philister.
Rasmus van Rijn [24.11.2005]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Robert Schumann | ||
1 | Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61 | 00:37:35 |
5 | Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120 | 00:25:35 |
Interpreten der Einspielung
- Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Orchester)
- Sir Roger Norrington (Dirigent)