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Besprechung CD

Roger Norrington

Mendelssohn Bartholdy

SWRmusic 93.133

1 CD • 80min • 2004

10.06.2005

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

In der ehrwürdigen Tradition des großen, wenngleich äußerst kapriziösen Hans von Bülow moderiert Roger Norrington seine Stuttgarter Konzerte, und es ist dankenswert, daß bei der Veröffentlichung der beiden Mendelssohn-Sinfonien der O-Ton auf zwei separaten Tracks angehängt ist. Es wäre auch schade, darauf verzichten zu müssen, denn die Worte sind in beiden Fällen tatsächlich auf den Beginn der Musik hin konzipiert, was man leicht durch entsprechende Programmierung des CD-Players überprüfen kann. Norrington läßt darin freilich auch erkennen, daß er sich gedanklich in seinen bekannten Bahnen bewegt und daß es letztlich gleich ist, ob er ein traditionell-traditionsreiches Sinfonieorchester oder seine London Classical Players unter der Fuchtel hat: So muß man es ja wohl nennen, wenn er überall dort, wo es Metronom-Angaben gibt, diese auch um jeden Preis durchsetzen will – auch dann, wenn die sture Befolgung des vorgeschriebenen Tempos die Musik in ein Prokrustes-Bett zwängt und für die entsprechenden Verrenkungen sorgt.

Hier wirkt sich diese „schlagfertige” Strenge allerdings weniger beklemmend aus als beispielsweise in der Londoner Beethoven-Gesamtaufnahme, die seinerzeit ein reiner Lobgesang auf Johann Nepomuk Mälzel wurde und über weite Strecken jedes Atmen schier unmöglich machte. Bei Mendelssohn, insbesondere in der Italienischen Sinfonie, setzt Norrington demgegenüber expressis verbis auf Tempomodifikationen (Track 11), weil er das Gefühl habe, daß hier ein behutsamer Tempowechsel zuweilen angebracht sei: „Der zarte Duft der frühen Romantik bedarf anscheinend ein wenig mehr der Freiheit als die formalen Erfordernisse der Klassik” (womit er selbst einräumt, daß sein mitunter förmlich einzementierter Beethoven kein Versehen, sondern pure Absicht war). Diese Freiheit zu gewähren, scheint dem Dirigenten nun die größten Schwierigkeiten zu bereiten: Beinahe körperlich spüre ich die Sorge, es könne dieses „ein wenig“ zu einem „schon zu viel“ werden, mit einem kleinen Rubato schon die ganze Überzeugung verraten sein. Doch diese Skrupel sind – nicht nur historisch, sondern auch bei näherer Betrachtung dieser Aufnahmen – völlig unangebracht. Zwar wird man den natürlichen Atem auch hier über weite Strecken vermissen; die Tempi aber sind überzeugend bis elektrisierend (die Tarantella nimmt Norrington als wahnwitziges Rezept gegen den Biß der Spinnenfrau) und helfen über all jene Stellen hinweg, wo „der zarte Duft der frühen Romantik“ ruhig etwas reichlicher hätte duften dürfen.

Auch an seinen Klangidealen hat Norrington nichts geändert, seit er auf den internationalen Plan trat. Das hat aber eher positive Auswirkungen, wie hier zu hören ist: Die schlanke, weitestgehend vibratofreie Wiedergabe der Werke bringt fürwahr eine Fülle an Linienwerk an die Oberfläche, die sonst allzu häufig „wegvibriert“ wird. Zarte kontrapunktische Verläufe, veritable Nebenstimmen, fugierte Einschlüsse erhalten in beiden Sinfonien erfreuliche Konturen und Beleuchtungen, ohne sich in jener aufdringlichen Manier zu präsentieren, die derart „instruktiven“ Darbietungen für gewöhnlich anhaftet; geradezu hinreißend ist diesbezüglich der Beginn des Vivace non troppo aus der Schottischen Sinfonie, bei der die Soloklarinette den Hörer wie eine Verführerin hinter sich her lockt, während die Streicher längst schon das Thema von ihr übernommen haben.

Die hinzugewonnene Klarheit der Strukturen rückt zwangsläufig auch die problematischen Details ins Visier, und davon ist wiederum besonders die Schottische betroffen. Norrington kann nicht verhindern, daß im Allegro un poco agitato gegen Ende der Durchführung die Aufmerksamkeit zeitweilig erlischt, und es will ihm ebensowenig gelingen, den Eindruck zu korrigieren, daß es sich beim abschließenden Allegro maestoso assai trotz aller motivischen Vorbereitungen um mehr als einen mit zwölfzölligen Nägeln befestigten Appendix handelt. Positiv ist zu verzeichnen, daß er das auch nicht um jeden Preis versucht und vielmehr den Bruch nicht nur musikalisch, sondern auch preßtechnisch – durch einen eigenen Track – markiert.

Das Gesamtergebnis ist so gemischt wie das Thema der Mendelssohnschen Sinfonik insgesamt. Wenn das die Folge eines „authentischen” Umgangs mit dieser Musik ist, kann man das Produkt eigentlich nur begrüßen. Wenn es hingegen die Aufgabe eines Dirigenten wäre, über Klippen und Gräben hinwegzuhelfen, Kanten und Ecken zu runden und „einen schönen Abend” zu bescheren, ist das hier nicht gelungen. Doch zu diesem Ende ist Roger Norrington auch noch nie ans Pult getreten.

Rasmus van Rijn [10.06.2005]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Felix Mendelssohn Bartholdy
1Sinfonie No. 3 a minor op. 56 (Scottish) 00:42:14
6Symphony No. 4 A major op. 90 (Italian) 00:28:03
10Konzerteinführung von Roger Norrington in englischer Sprache 00:08:44

Interpreten der Einspielung

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