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Besprechung SACD stereo/surround

Marcel Dupré

Le Chemin de la Croix op. 29

cpo 777 128-2

1 SACD stereo/surround • 76min • 2004

21.03.2005

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 6
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 7

Die Kulturgeschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert wäre schwerlich denkbar ohne den Einfluss des Renouveau catholique, jener katholisch sozialkritisch philosophischen und vor allem literarischen Erneuerungsbewegung, die sich in Paris ab etwa 1870 zu bilden begann. Nicht zuletzt sie bewirkte eine erhebliche gesellschaftliche Aufwertung kirchenmusikalischen Tuns am Conservatoire und den Hauptkirchen in Paris, was zweifellos als Grundlage der Arbeit Marcel Duprés als Lehrer und Kirchenmusiker gesehen werden muss.

Zum Renouveau stieß auch der junge Literat und Diplomat Paul Claudel, der seinerseits einflussreich wie wohl kaum ein zweiter französischer Literat des 20. Jahrhunderts den Kontakt zur Pariser Musikszene suchte. Die Lesung seines Meditationszyklus Chemin de la Croix aus dem Jahre 1911 legte nun Marcel Dupré einem Improvisationskonzert zugrunde, das er – Dupré – am 13. Februar 1931 in Brüssel gab. Ein großer Erfolg ermunterte ihn, dies Ereignis in einer Komposition zu fixieren, die er als eines seiner Hauptwerke ansah und die bis heute Teil des organistischen Repertoires ist.

Der als engagierter Interpret nachromantischer französischer Orgelmusik bekannte Friedhelm Flamme nahm die 14 Stationen Duprés an der Orgel (III/50; Mühleisen, Straßburg 2000) der Stiftskirche Gandersheim auf, deren Eignung für solche Musik außer Frage steht. Er wird dabei von der Gregorianik-Schola Marienmünster (!) unterstützt, die – über die Vorgaben Duprés hinaus – die Tropierung der Texte Claudels durch Duprés Musik durch eine neuerlich tropierende Rückbesinnung auf die liturgische Herkunft der Betrachtung des Kreuzesmysteriums sinnfällig macht.

Nachdem Flammes Duruflé-Aufnahme von mir kürzlich fast emphatisch bewundert wurde, sollte eigentlich – Aufnahmestab und Organist wirken am selben Ort zusammen – auch in diesem Fall ein überzeugendes Ergebnis zu erwarten sein. Leider trügt diese Erwartung. Die Produktion hinterlässt einen technisch wie musikalisch durchaus zwiespältigen Eindruck, was jedoch nicht Flamme zuzuschreiben ist, sondern der Missachtung der musikalischen Prinzipien der Alternatim-Praxis durch das Aufnahmeteam, das auch sonst das beispielhafte Niveau der Duruflé-Aufnahme nicht zu halten vermochte, selbst wenn das Instrument Mühleisens gleichermaßen perfekt eingefangen wurde.

In der Alternatimpraxis gehen Choral und Orgelversette eine derart innige Verbindung ein, daß die musikalische Praxis seit dem 13. Jahrhundert Pausen in die Binnenzäsur des (gregorianischen) Chorales legt, die Abschlüsse der Choralverse gleichsam ein Sprungbrett für die mit knappsten Pausen angeschlossene Orgelversette bilden. Es entsteht auf diese Weise ein sehr geschlossenes, liturgisch stringentes Gebilde, das ich der vorliegenden CD von Herzen gewünscht hätte.

Teilweise quälend lange Pausen zwischen den Choralabschlüssen und dem Orgeleinsatz, die noch dazu durch Knacker, ein hörbares Umblenden des Raumes, ja Pegeleinbrüche im Raumgeräusch und last but not least einen mitunter bedenklich hörbaren Brumm (Vokalabschnitte) akzentuiert werden, separieren „Choraltropierung und Orgelversette“ (man gestatte mir diese Termini) in einzelne Gebilde, deren Bezug aufeinander nicht recht einleuchten will. Dort wo sich ein Bruch, ja ein „digitales Null“ – nach dem Tode Christi und der Beschreibung der Marienklage im Stabat Mater – dramaturgisch anböte, wird der Raum wieder sehr diesseitig prosaisch aus dem brummbelasteten Raumgeräusch der Vokalpassagen in dasjenige umgeblendet, das die Orgel dominiert.

An diesem zwiespältigen Eindruck ändert für mich auch das liturgisch geradlinige, allem artifiziellen Gehabe wirklich abholde Musizieren des Chorales durch Hans Hermann Jansen und seine Schola nichts, bei der mich auch gelegentliche tonale Ausweichungen nicht stören. Die Auswahl der Choräle (Antiphon zur Kreuzanbetung am Karfreitag, Graduale am Gründonnerstag, Improperien und Stabat Mater über alle Strophen) befriedigt textlich wie (kirchen-)tonartlich (gelegentliche Intonationsreibungen mit der Orgel liegen im Prinzip der Sache) und hätte daher einen schönen, geschlossenen Wurf ermöglicht.

Die begrenzte liturgische Umsicht aber, mit der hier dem Zusammenwirken von Choral und Instrument begegnet wurde, wird auch darin deutlich, daß das ansonsten schöne Booklet zum einen die den „Versetten“ Duprés zugrundeliegenden Texte Claudels nicht einmal auszugsweise zitiert, zum anderen beim Stabat Mater nicht die musizierten 20, sondern nur die brevierüblichen 14 Strophen wiedergibt.

Wer Flamme gewinnbringend, einem liturgisch glaubwürdig musizierten Choral engagiert zuhören möchte, kann sich an dieser CD herzlich freuen. Es ließe sich aber eine ungleich schlüssigere Gemeinsamkeit herstellen, wenn der Stab hinter einer solchen Produktion sich seines Einflusses auch in musikalisch-liturgischer Hinsicht bewusster wäre.

Thomas Melidor [21.03.2005]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Marcel Dupré
1Le Chemin de la Croix op. 29

Interpreten der Einspielung

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