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Besprechung CD

Cerha-Dokumente

Frühwerke, Serielle Werke, Klangkompositionen, Engagement und Tradition, Musiktheater, Netzwerk, Baal, Wienerisches, Neue Kammermusik, Neue Orchesterwerke

Radio Österreich 1 CD 180

12 CD • 11h 22min • [P] 2001

01.12.2001

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 7
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Seit einigen Jahren engagiert sich der Österreichische Rundfunk mit einer sporadisch erscheinenden Zeitton Edition auf dem hartumkämpften Markt der Compact Disc. Genutzt werden zu diesem Zweck zu großen Teilen Aufnahmen aus dem eigenen Archiv, für die Abrundung und natürlich auch zur personellen Aufwertung werden aber auch Produktionen (Mitschnitte) anderer Veranstalter mit einbezogen. Ein großer Teil dieser Publikationen konzentrierte sich bisher - mit einigem Erfolg, darf man hinzufügen - auf die mediale Protektion von lebenden Komponisten, deren Werke ja nicht nur in Österreich bis auf wenige Ausnahmen nur schwach im aktuellen Schallplattenkatalog vertreten sind. Eine Rundfunkanstalt wie der ORF leistet auf diesem Wege Aufklärung seines Publikums und Werbung für die entsprechenden Komponisten, sie engagiert sich aber auch im eigenen Interesse, indem sie nämlich auf dokumentarische Leistungen aufmerksam macht, die noch bis in die publizistisch streng reglementierten 80er Jahre irgendwo in den Archiven gehortet blieben, bestenfalls im täglichen Sendeprogramm einmal kurz und dann - zu spätester Stunde - unter Ausschluß der Öffentlichkeit gespielt wurden.

Die begrüßenswerten Initiativen auf dem Tonträgermarkt auf der Basis eines gut organisierten Eigenvertriebs (Direktversand) und in Kooperation mit professionellen Vertriebsinstitutionen dienen also nicht nur einer wertschöpfenden Bilanzkorrektur, sondern stellen eine kulturgeschichtliche Leistung im Sinne von Minderheitenförderung und ästhetischer Pluralität dar, denn nicht wenige der auf solche Weise geehrten Autoren durften von einer einzig auf ihre Stücke konzentrierten Compact Disc nur träumen - es sei denn, sie produzierten sie in Eigenregie, was ja heute ein Kinderspiel ist. Doch für den Wettbewerb im Konzert der Anbieter fehlt es dann zwangsläufig an geeigneten Verteilerstrukturen und damit auch an öffentlicher Resonanz.

Vor diesem medienpolitisch aktuellen Hintergrund ist jenes umfangreiche, ehrgeizige Projekt des ORF zu sehen und zu hören, das in einer kleinen Feierlichkeit am Rande der Salzburger Festspiele 2001 vorgestellt wurde. Vom Umfang her sprengt die auf immerhin 12 CDs das Schaffen und Wirken Friedrich Cerhas reflektierende Edition den Rahmen aller vorangegangenen Zeitton-Vorhaben. Und auch inhaltlich ist sie von einer Dichte und Tragweite, wie man sie in annähernd vergleichbaren, also personenbezogenen Anthologien nur selten erlebt hat. Umso rätselhafter erscheint es deshalb, warum die schonungslos eigenwilligen, dabei auch unterhaltsamen, in einer fabelhaften Mischung aus Intelligenz, handwerklicher Brillanz, materialspezifischer Abenteuerlust, Melancholie und bodenständigem Witz geborenen Werke verschiedenster Schaffensperioden bislang nur ausnahmsweise auf Tonträgern in den Handel gelangt sind.

Die weiter unten im Anschluß an die Zeitton-Titel angeführten Veröffentlichungen zeigen, wie schmal das offizielle Cerha-Repertoire geblieben ist, wobei nicht nur das Mißverhältnis von schöpferischer Qualität und Quanität des Dokumentierten zu denken gibt, sondern auch die Tatsache, daß der 75jährige, aus Wien stammende Uhl- und Prihoda-Schüler in Österreich und in der Welt nun schon viele Jahrzehnte als Komponist, als Interpret und als musikmoralische Autorität gleichsam unterwegs ist. Nicht zuletzt als Mitbegründer des 1958 formierten Ensembles "die reihe", als Geiger und als Dirigent seiner eigenen und der Werke längst anerkannter oder zeitgenössischer Komponistenkollegen. Es handelt sich mithin um eine jener Karrieren, die in einer seltsamen Ambivalenz aus öffentlicher Gegenwärtigkeit und Zurückgezogenheit, ja Unerkanntheit einen geraden Weg bezeichnen, dessen Steigungswerte die etwas weitläufiger interessierte Musikwelt erst zu einem späten Zeitpunkt zu realisieren scheint.

Eine der Hauptstationen auf diesem Weg zur Anerkennung und zu gründlicher Auseinandersetzung mit dem Phänomen Cerha war 1981 zweifellos die Oper Baal im Auftrag der Salzburger Festspiele unter der musikalischen Leitung von Christoph von Dohnányi. Der ORF-Mitschnitt mit Theo Adam in der Titelpartie wurde bereits auf Schallplatten herausgegeben, aber in einer etwa graumäusigen Verpackung und in Wahrheit an den Lebensadern des Marktes vorbei geplant, so daß zu hoffen ist, daß Cerhas ungemütliche Vertonung des uralten, zeitlosen Stoffes im Rahmen der vorliegenden Zeitton-Kassette verstärkten Widerhall findet. Dabei wird es von großem Nutzen sein, ein kräftiges, intellektuell scharfes, in den entscheidenden Passagen aber auch sehr sinnliches Stück wie Baal im Kontext zu Cerhas frühen Vokalarbeiten (dem Buch von der Minne etwa), im Vergleich zu seinen seriellen Selbstbeschränkungen oder auch in Gegenüberstellung mit einem provokanten, völlig unbotmäßigen Projekt wie dem Netzwerk für Sprecher, Bariton, Koloratursopran und Instrumentalisten zu erleben. Hilfreich dabei ist die übersichtliche Anordnung von Cerhas Kompositionen in einzelnen Rubriken, deren Mottos (wie etwa Klangkompositionen oder Engagement und Tradition) sich nicht nur als leichtfertig angeklebte Etiketten erweisen.

Die zwölf CDs werden in einem Schuber geliefert, versehen mit einer ausführlichen Begleitschrift, die im wesentlichen Originaltexte Cerhas enthält. Cerha erweist sich hier als ein gewiefter, gelegentlich auch verschmitzter Mann des Wortes. Nicht nur in eigener Sache, auch in erhellender Präzision, was die Diagnose eines Jahrhunderts und die Beurteilung seiner Lehrer, seiner Komponistenkollegen und das Erbe der Vergangenheit anbetrifft. Besetzungsangaben und Werkdaten der jeweiligen Aufnahmen bis hin zum wienerischen Ausklang mit Cerhas fulminant ätzender Keintate auf Wiener Sprüche von Ernst Klein, bis hin zu neueren Kammermusikstücken und Orchesterwerken aus den frühen 90er Jahren entsprechen den Bedürfnissen von Statistik und Sammlerinteressen.

Was fehlt, sind die genauen Aufnahmedaten sowie Spieldauerangaben. Für einen Herausgeber, dessen Medium sich ja der Dokumentation verpflichtet hat, eine etwas nachlässige Haltung. Leider konnte oder wollte man sich seitens des Herausgebers auch nicht dazu entschließen, wenigstens knappe Angaben zu den Werken und ihren Interpreten auch den einzelnen CDs beizufügen, so daß man immer wieder umständlich das Begleitbüchlein aufschlagen muß.

Peter Cossé † [01.12.2001]

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