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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Mehrfach souveräne Leistungen

Das Semifinale der Oboisten beim 73. ARD-Musikwettberwerb

Die Oboe gilt gemeinhin als das schwierigste aller Holzblasinstrumente, denn sie erfordert neben allgemeiner Virtuosität von Fingern und Zunge zusätzliches handwerkliches Geschick. Schließlich stellt der Spieler seine Doppelrohrblatt-Mundstücke zumeist selbst her, muss sie bei geänderter Witterung eventuell mit dem Rasiermesser direkt vor einem Konzert noch auf die gewünschte Spannung nachschaben und wissen, welche Schraube an welcher Klappe des komplizierten Mechanismus anzuziehen ist, oder in welcher sich das Kondenswasser mal wieder gesammelt hat, wenn Töne plötzlich nicht ansprechen.

Von Mozart zu Cathy Milleken

Neben dem fröhlichen Oboenkonzert C-Dur KV 314 von W. A. Mozart, das aus des Komponisten späterer Bearbeitung zum Flötenkonzert D-Dur KV 313 rekonstruiert wurde und „der Klassiker“ für Probespiele schlechthin ist, stand die diesjährige Auftragskomposition Espirar – was auf Deutsch „ausatmen“, „aushauchen“, „beseelen“ bedeutet – der australischen Komponistin und langjährigen Oboistin (sic!) des Ensemble Modern Cathy Milleken auf dem Programm jedes der sechs Kandidaten. Endlich einmal ein Auftragswerk, das Chancen hat, in das Virtuosen-Repertoire einzugehen! Selbstverständlich unter Ausnutzung des kompletten Umfangs von h0-a3, mit Gemeinheiten wie schnell repetierten Tönen an der oberen Grenze des Umfangs, mit Tabulaturnotation, die angibt welche Klappen über einem Basiston blitzschnell zu öffnen und wieder zu schließen sind, mit Mehrklängen, die aber einen Zweck erfüllen, vor allem aber mit widererkennbaren Elementen, die den Hörer an die Hand nehmen und ihm einen Weg durch den Wald der Klänge weisen. Teilweise naturalistisch mit stilisierten Tierlauten, teilweise surrealistisch schwirrend. Freitonale Musik von großer klanglicher Variabilität, jedoch nicht derart kompliziert, dass es eigentlich egal ist, was der Interpret gerade treibt. Ich habe alle sechs durchaus unterschiedlichen Interpretationen genossen

Vier statt drei Finalisten

Wie im Semifinale des ARD-Wettbewerbs üblich, bekamen die sechs besten Kandidaten der beiden Vorrunden die Chance, sich den Einzug ins Finale zu erspielen. Dass es heute vier anstatt der üblichen drei geschafft haben, ist als Sensation zu werten.

Ilyes Boufadden Adloff aus Frankreich machte mit heller „typisch französischer“ Tongebung den Anfang und bewies mit einem wundbaren Messa di Voce auf dem ersten langen g bereits seine Klasse. Er phrasierte außerordentlich charmant und mit Witz, beachtete allerdings die von Mozart vorgeschriebene Artikulation nicht immer. Im Adagio brachte er die Kantilene durch fein abgestuftes An- und Abschwellen innerhalb der Phrasen wirklich ins Singen. Das Finale erschien mir zunächst etwas behäbig, begann dann aber mit Feuer und Witz (Luftpause in der Reprise!) zu funkeln. Sehr geschmackvolle Kadenzen und ein intelligent und äußerst musikantisch dargebotene Auftragswerk, bei dem man das Ende bedauerte, bescherten ihm die Nominierung für das Finale.

Leonid Surkov aus Russland bot mit weitaus dunklerem, pastoseren Ton das „quasi-deutsche“ Gegenstück. Allerdings kostete ihn das schwerere, voluminösere, dadurch aber auch schwerer ansprechende Rohrblatt etwas an Feindynamik, sodass seine Interpretation mehr lyrisch sowie weniger flink und quirlig wirkte. Dafür geriet ihm der langsame Satz äußerst ausdrucksvoll. Nett, die kleinen Verzierungen im Finale. Die Kadenzen ebenfalls sehr geschmackvoll.

Espirar gelang in spieltechnischer Hinsicht gut, wirkte aber noch zu wenig interpretiert. Ihn hätte ich eigentlich nicht im Finale gesehen, gratuliere aber trotzdem herzlich.

Marlene Gomes aus Portugal tendierte tonlich wieder mehr zum helleren Ideal. Sie verschenkte den Kontakt zum Orchester und die Möglichkeiten von Mikroagogik und Mikrodynamik zur intensiveren Gestaltung von Phrasen durch ihren „Tanz ums Instrument“, der dann zu unruhigen Spielbewegungen führte. Einige schnelle Passagen in Expirar gerieten dann zur veritablen Schlangenbeschwörung.

Individuelle Interpretationen

João Miguel Moreira da Silva aus Portugal erfreute mit hell-fröhlicher konzentrierter Tongebung. Er war jedoch äußerst nervös und womöglich gesundheitlich indisponiert, was sich allerdings nur in Spielpausen durch hektisches Abwischen des Gesichts zeigte. Wenn er spielte, transportierte er mit eleganter Phrasierung die reine Freude. Sehr witzig, in der Kadenz des Finales die die auf dessen Thema beruhende „Blondchen Arie“ aus der Entführung zu zitieren. Expirar geriet ihm besonders spannend. Auch er ist zu Recht im Finale.

Omer-Itzhak Posti aus Israel gelang gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Adloff die souveränste Leistung des Nachmittags. Er ist auch präsent, wenn er einfach nur in der Musik lebend konzentriert dasteht, ohne gestisch etwas zu machen und trotzdem kommen inneren Impulse beim Orchester an. Dies gibt ihm die Möglichkeit, Phrasen liebkosend zu beseelen. Er nahm das Adagio flüssiger als seine Kollegen, ohne an anmutigem Ausdruck einzubüßen. Die brillanten Passagen erhielten ein feines Relief. Eine feingeschliffen funkelnder Mozart und ein perfekt, vielleicht ein wenig zu kühl gespieltes Expirar sicherten ihm die verdiente Teilnahme im Finale.

Ángel Luis Sánchez Moreno aus Spanien wäre für mich ebenfalls ein Finalkandidat gewesen. Quirlig in den schnellen Mozart-Sätzen mit witzigen Kadenzen sorgte er dafür, dass selbst der sechste Durchgang noch Spaß machte. Allerdings stand er im Adagio etwas zu sehr auf der Bremse, sodass es als Durchhänger wirkte. Expirar gelang ihm von allen Interpreten am überzeugendsten. Schade!

Besonderer Dank muss wieder einmal dem Münchener Kammerorchester gezollt werden, bei dem die beiden Naturhornisten andeuteten, wem sie den Vorzug gaben. Sechsmal wach und präsent dasselbe Mozart-Konzert zu akkompagnieren ist eine bewundernswerte Leistung.

Thomas Baack (11.09.2024)

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