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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Grandiose Steigerungen

ARD-Musikwettbewerb 2022 – Finale der Streichquartette

Für die Teilnehmer des Finales war ein Programm mit zwei Werken zu gestalten. Hierfür galt es, eines der 6 Streichquartette von Béla Bartók mit einem von Ludwig van Beethoven (ab op. 59) oder einem der drei späten Quartette Franz Schuberts zu verbinden.

Überraschende Steigerung zum Schluß

Das Chaos String Quartet (D, I, NL, HU) begann mit dem 4. Quartett von Bartók. In diesem spielt der Komponist mit ungewöhnlichen Streicherfarben. Der zweite Satz ist durchgehend mit Dämpfern zu spielen, im dritten wechseln Töne ohne Vibrato mit solchen, die stark vibriert werden sollen. Der vierte bringt die berühmten – von der Folklore des Balkans angeregten – „Bartók-Pizzicati“, bei denen die Saite mit Aufprall auf dem Griffbrett gezupft werden muss. Das Chaos String Quartet spielte das Werk als „moderne“ Komposition und unterschlug dabei die folkloristischen Elemente. Klanglich geriet alles zu wenig farbig. Nach eher mattem Eindruck im Semifinale versuchten sie mit der Originalfassung von Beethovens op. 130 zu punkten und spielten statt des nachkomponierten Finales die Große Fuge op. 134a. Das kann man in einem Quartettabend machen, indem man mit dieser Kombination den kompletten Teil nach der Pause bestreitet. Wenn aber ein Bartók vorausgeht, will man als Zuhörer spätestens nach wenigen Takten der Schlussfuge nur noch in die Pause und beginnt alle paar Minuten auf die Uhr zu schauen. Hat man binnen der vorherigen Zeit bereits den Eindruck gewonnen, dass die Instrumentalisten selbst keinen Spaß an ihrem Spiel haben, weil von ihrem Musizieren nichts Zwingendes ausgeht, steigt der Blutdruck dann recht schnell.

Glücksmomente

Das Barbican Quartet (BLG, D, CAN, NL), das sich den Finaleinzug mit einer exzellenten Wiedergabe des Auftragswerks, einem endlich einmal nach Musik klingendem Anton Webern und einem ziselierten Mozart gesichert hatte, ergänzte das im 1. Weltkrieg entstandene 2. Quartett Bartóks durch Beethovens zweites Rasumowsky-Quartett op. 59,2. Hier wurde auf einmal Musik gemacht, wenngleich der Bartók noch etwas süffiger hätte ausfallen können. Das Zusammenspiel war exzellent und leuchtete in vielfältigen Farben. Die Dynamik war weitgespannter als beim Vorgänger-Ensemble. Im Beethoven hätten die Sechzehntel-Läufe jedoch etwas schärfer konturiert und mehr auf Zug gespielt werden können. Ob man das humorige Rondo-Thema jedes Mal gleich spielen muss, halte ich für fraglich. Dafür nutzt es sich dann zu schnell ab. Hier wäre mehr Agogik gefragt gewesen. Allerdings sorgten ansonsten das sich sehr körperlich übertragende rhythmische Gefühl und das auf einem einheitlichen Atmen beruhende souveräne Spiel für vielfache Glücksmomente.

Atemlose Stille

Danach wollte ich eigentlich schon nichts Weiteres mehr hören und erwartete mit einem gewissen Grauen Beethovens op. 127 vom Quartet Integra (Japan). Jedoch nichts dergleichen: Ich verstehe nicht, mit welch magischen Mitteln es die Vier schafften, dass meine Lust zuzuhören von Satz zu Satz wuchs und ich ihnen nach dem 6. Quartett Bartóks noch gerne eine weitere Stunde gelauscht hätte. So klug hatten sie sich mit den Stücken auseinandergesetzt. So viel Spaß, der sich vollkommen auf das Publikum übertrug, hatten sie selbst an ihrem Spiel, bei dem sie – wenn es das Werk erforderte – zu einem einzigen großen Organismus verschmolzen. Jede Linie war wach auf ein Ziel hin modelliert, die Intonation perfekt, die Farben irisierend. Wer es dann am Schluss schafft, mit einem Mesto, das im Pianissimo erstirbt, im Publikum zunächst für feuchte Augen und atemlose Stille zu sorgen, bevor es dieses vor Begeisterung von den Sitzen reißt, der hat wirklich allergrößte Quartett-Kunst zelebriert. Danke, Quartet Integra, für wundervoll erfüllte 60 Minuten!

Die Entscheidung der Jury

Nach dieser Leistung und einem exzellenten Semifinale hätte das Quartet Integra klar den ersten Preis verdient. Leider wurde es nur der Zweite, was bei der Preisverteilung für lautstarke Proteste aus der Zuhörerschaft sorgte. Zum Trost gab es dafür aber wenigstens den größten Jubel und den Publikumspreis.

Ob das Chaos String Quartet überhaupt preiswürdig ist, bezweifle ich. Jedenfalls sind sie mit dem dritten Platz hervorragend bedient.

Mit dem ersten Platz für das Barbican Quartet kann ich leben. Der Preis für die beste Interpretation des Auftragswerks gebührt ihm zu Recht.

Thomas Baack (11.09.2022)

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