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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Auf professionellem Niveau

Finale der Flötisten beim ARD-Musikwettbewerb am 7.09.2022

Für das Konzert mit großem Orchester, das nur den drei besten Teilnehmern offensteht, standen zwei Werke zur Auswahl, die noch keine 40 Jahre alt sind: das Flötenkonzert von Einar Englund (1916-1999) aus dem Jahre 1985 und dasjenige von Marc-André Dalbavie (Jg. 1961) aus dem Jahre 2006. Beide Werke entstanden im Stil einer klassischen Moderne mit postromantischen Einschüben. Das Englund-Konzert ist ein „Concert militaire“, dessen Tonsprache in den marschartigen, gelegentlich ironisch-parodistischen Partien der Aussensätze an Paul Hindemith und Dmitri Schostakowitsch erinnert. Hier dürften Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs einen Niederschlag gefunden haben. Kurioserweise morst die kleine Trommel in der Coda des Kopfsatzes mehrfach SOS. Der Flötenpart ist anspruchsvoll und erfordert Kraft, sich gegen das massive Orchester zu behaupten, verzichtet jedoch – bis auf die Flatterzunge – auf avantgardistische Effekte.

Virtuoses Xylophon

Wesentlich farbiger präsentiert sich die Komposition von Dalbavie. Wollte man sie kurz beschreiben, könnte man sagen, dass hier die Alborada del gracioso von Maurice Ravel auf die Turangalîla-Sinfonie von Olivier Messiaen trifft. Der Clou des Stückes ist die enge Verzahnung von Solist und Orchester. So müssen Phrasen und einzelne lange Töne bruchlos zwischen Solo- und Tutti-Flöte oder -Klarinette übergeben und übernommen werden. Das Werk ist einsätzig, darin jedoch vierteilig (dramatischer Beginn-lyrische Fortsetzung-Scherzando à la Gigue-Finale). In den dramatischen Abschnitten durchaus brachial, in den lyrischen empfindsam, dazwischen höchst subtil gestaltete Übergänge verbinden sich elegant zu einer guten Viertelstunde spannender Musik. Ein Höhepunkt ist das Agieren zwischen Flöte und Schlagwerk, bei dem ein höchst virtuoses Xylophon-Solo von mit Schnalzen anzublasenden Tönen der Flöte (Slap-Tongue) akkompagniert wird.

Mittzwanziger unter sich

Alle drei Kandidaten haben bereits namhafte Wettbewerbe gewonnen und dadurch Berufserfahrung als Solisten mit namhaften Orchestern. Aktuell haben alle Stellen als Soloflötisten inne.

Yubeen Kim (Südkorea) ging den Dalbavie eher rustikal an. Da seine Doppelzunge im Portato nicht sonderlich gut funktioniert, spielte er die flirrenden Anfangsarpeggien mit zu starken Geräuschanteilen. Deshalb kam er nicht gut über das Orchester. Er bewältigte das Stück zwar achtbar, konnte aber weder mich noch das Orchester überzeugen.

Mario Bruno (Italien) wählte ebenfalls den Dalbavie, kommunizierte möglichst intensiv mit seinen Orchestermitstreitern, die es ihm mit einem derart konzentrierten Spiel dankten, dass man meinte, ein anderes Stück zu hören. Tonlich wesentlich gerundeter, wärmer und singender, dabei alle Luft in Klang umsetzend, hatte er nirgends Probleme, sich gegenüber dem Orchester durchzusetzen. Auch gelang ihm die Bariolage-Stelle (schneller Wechsel zwischen Haupt- und Alternativgriff auf derselben Tonhöhe) und die Slap-Tongue-Effekte musikalisch wesentlich eindrucksvoller.

Leonie Virginia Bumüller (Deutschland) wählte den spröderen Englund. Sie blies ihren Part voluminös, dabei immer tonschön mit beneidenswert entspannter hoher Lage. Sie spielte die teils äußerst kniffligen Fiorituren höchst exakt aus und wusste mit einer immer musikalischen Phrasierung „auf Zug“ mitsamt elegantem Timing zu überzeugen. Phänomenal, wie sie den Schlusston über das brachiale Orchestertutti wuchtete.

Dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Joshua Weilerstein gebührt ein Extra-Lob für die virtuose Gestaltung der virtuosen Orchesterparts, wobei hier das Fagott im Englund und das Xylophon im Dalbavie extra beklatscht gehören.

Ergebnis

Jury-Vorsitzender Patrick Gallois meinte bei der Preisverleihung, dass der diesjährige Wettbewerb ein weltweit einmaliges Spitzenniveau gehabt hätte. Mit der Entscheidung der Jury bin ich allerdings nicht recht glücklich:

3. Preis und Publikumspreis: Leonie Virginia Bumüller, die ich auf Rang 2 gesehen hätte

2. Preis und damit zu schlecht bedient: Mario Bruno

1. Preis und Preis für die beste Interpretation des Pflichtstücks: Yubeen Kim, den ich – wenn überhaupt – auf Rang 3 gesehen hätte.

Thomas Baack (08.09.2022)

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